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Was werden wir finden, wenn wir im Weltall auf die Suche gehen?

Lisa Kaltenegger über Wissenschaft und Science-Fiction, über Weltraumteleskope, Lichtsegel und die Kommunikation mit Aliens.
Text: Steffan Heuer, Fotos: Kevin Trageser/Eso/Babak Tafresh/Twanight.org / 8 Min. Lesezeit
Sternenhimmel Foto: Eso/Babak Taresh/twanight.org
Unglaublicher Blick zu den Sternen.
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Im Gesprächs mit der Astrophysikerin Lisa Kaltenegger beantwortet sie die großen Fragen: Könnten wir – trotz der enormen Distanzen – Raumfahrzeuge zu fernen Planeten schicken? Was tun, wenn wir Kontakt zu Außerirdischen finden? Und schließlich: Wie viel von Kalteneggers Arbeit wird einst im Navigationsbehelf unserer sternenreisenden Nachfahren stecken?

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TERRA MATER: Warum schicken wir leistungsstarke Teleskope ins All?

Lisa Kaltenegger: Wer den Himmel von der aus Erde beobachtet, kämpft mit ein paar Problemen: Die Erde dreht sich, man kann nur nachts etwas sehen – und selbst das nur von einem guten Standort aus, der von starken Lichtquellen weit entfernt ist. Obendrein behindert die Atmosphäre die Sicht. Wenn wir da draußen einen Planeten wie die Erde finden wollen, der mehr als 100-mal kleiner ist als die Sonne, brauchen wir aber extrem präzise Messungen. Die sind vom Weltraum aus möglich. Das ist der große Vorteil dieser Teleskope.

Und der Nachteil?

Na ja, Reparaturen sind natürlich ein Problem. Erinnern wir uns an das Kepler-Teleskop. Es wurde 2009 ins All geschossen, ließ sich allerdings ab 2013 nicht mehr präzise ausrichten und musste 2018 wegen Treibstoffmangel abgeschaltet werden. Nachtanken war leider keine Option.

Trotzdem war die Mission ein Erfolg.

Dank Kepler konnten wir ausrechnen, dass um jeden zweiten Stern ein Planet kreist, und um jeden fünften Stern kreist ein Planet von der richtigen Größe und in der richtigen Entfernung für Leben.

All das gelang mit einem Teleskop?

Kepler hat dreieinhalb Jahre lang einen genau definierten Ausschnitt des Himmels angestarrt – einen Bereich, der so klein ist wie die Fläche, die ich mit meinem Handteller abdecke, wenn ich ihn mit ausgestrecktem Arm vor den Himmel halte. Allein in diesem Ausschnitt unseres Universums hat Kepler 150.000 Sterne kartografiert.

Sie suchen nun auch außerhalb dieses kleinen Ausschnitts weiter.

Ich bin beteiligt an der Datenanalyse des Satelliten TESS. Der hat vier Weitwinkelkameras von 17 Zentimeter Größe, die scannen in einem Jahr die Hälfte des Himmels. Mit dieser Methode haben wir schon 15 neue Planeten gefunden, und wir haben Hunderte weitere Kandidaten auf der Liste.

Wenn so ein Kandidat auftaucht, was passiert dann als Nächstes?

Wir schauen mit einem größeren Teleskop noch einmal hin, in Zukunft etwa mit dem James-Webb-Teleskop. Damit können wir auch bei kleinen Planeten die chemische Zusammensetzung der Atmosphäre ermitteln.

Was erwarten Sie noch vom James-Webb-Teleskop?

Ich möchte bei einem bestimmten Exoplaneten zehn Transits beobachten, um zu sehen, ob es dort Sauerstoff in der Atmosphäre gibt. Also muss ich in einem Antrag erklären, wie lange das Teleskop für mich wohin schauen soll. Aus den gesammelten Anträgen entsteht ein ausgeklügeltes Arbeitsprogramm. Das kann freilich jederzeit umgeschmissen werden – etwa wenn ein Stern explodiert und das Teleskop darauf ausgerichtet wird.

Lisa Kaltenegger, Frau, Wissenschaftlerin Foto: Kevin Trageser
Lisa Kaltenegger mit dem Blick zu den Sternen.

Auf wie viele Sterne wollen Sie das James-Webb-Teleskop ansetzen?

Natürlich wollen wir uns so viele Sterne wie irgendwie möglich anschauen – aber es gibt eine Shortlist. Im ersten Jahr schauen wir uns die größeren Planeten an, auf die schon das Hubble-Teleskop ausgerichtet war, der große Vorgänger des James-Webb-Teleskops.

Durch den Vergleich zu den alten Aufnahmen können wir das neue Teleskop testen: Wenn wir schon mit Hubble Methan gefunden haben, dann sollte auch das James-Webb-Teleskop Methan finden. Für das zweite Jahr hoffen wir, kleine, möglicherweise lebensfreundliche Planeten beobachten zu können – beispielsweise beim 1999 entdeckten Trappist-1-System in 40 Lichtjahren Entfernung. Dort gibt es sieben erdgroße Planeten. Vier von ihnen kreisen in einem günstigen Abstand um ihren Stern. Dort wollen wir nach Kohlendioxid oder Wasser auf der Oberfläche suchen.

Das James Webb ist für eine Funktionsdauer von bis zu zehn Jahren ausgelegt. Gibt es schon konkrete Ideen, was danach
kommen soll?

Größere Teleskope sind immer eine gute Option, denn sie liefern viel detailliertere Informationen von der Atmosphäre eines Planeten. Es gibt auch keinen technischen Grund, warum der Spiegel eines Weltraumteleskops nur 6,5 Meter Durchmesser haben sollte – wie jetzt eben der des James Webb. Wir könnten also ein noch größeres Teleskop in seine Einzelteile zerlegen, es in mehrere Raketen packen, ins All schießen und es dann dort oben wieder zusammensetzen.

Oder, vielleicht noch besser: Die Teile müssten nicht einmal zusammengesetzt werden, sondern sie könnten auch nebeneinander fliegen. Wenn man 50 oder 100 kleinere Teleskope hochschießt, die sich dann wie ein Schwarm Drohnen zu einem Formationsflug zusammentun, entsteht ein riesengroßes Teleskop, das sich dort oben ewig halten kann. Denn im Weltall gibt es keinen Reibungsverlust, nur Sonnenwind, und den kann man ausgleichen.

Springen wir in die noch fernere Zukunft. Besteht die realistische Möglichkeit, dass sich Menschen einem der fernen Planeten
annähern, die Sie für lebensfreundlich halten?

Unsere Generation wird auf keinen Fall zu diesen Planeten fliegen, zukünftige Generationen möglicherweise schon. Aber wir werden wahrscheinlich in der Lage sein, unseren Nachfahren jene 10, 50 oder 100 Planeten zu nennen, bei denen wir uns ziemlich sicher sind, dass sich ein Besuch dort wirklich lohnt.

Wie könnte der vonstattengehen?

In der Science-Fiction ist immer wieder die Rede von Generationen-Raumschiffen, in denen die Originalbesatzung während der Reise für Nachwuchs sorgt und erst ihre Kindeskinder das Ziel erreichen – einfach weil die Distanzen im All so groß sind, dass die Reise länger dauert als mehrere Menschenleben nacheinander.

Nun ja. Science-Fiction eben.

Man könnte sich auch etwas anderes vorstellen: Warum sollten wir nicht sehr kleine Computerchips mit enormer Geschwindigkeit in Richtung eines interessanten Planeten schicken, um dort eine Aufnahme zu machen, auch wenn sie nur ein einziges Pixel groß ist? Ich bin im Rahmen der Breakthrough-Initiative am Projekt Starshot beteiligt – da wird bereits daran geforscht. Die Idee ist, ein Lichtsegel aufzuspannen, in das man gezielt einen Laserpuls hineinbläst, der das Segel samt Chip auf 20 Prozent der Lichtgeschwindigkeit beschleunigt.

Unsere Generation wird auf keinen Fall zu diesen Planeten fliegen, zukünftige Generationen möglicherweise schon.

Lisa Kaltenegger, Astrophysikerin

Reden wir jetzt nicht doch wieder von Science-Fiction?

Natürlich gibt es noch viele technologische Probleme. Aber es ist nicht mehr völlig verrückt, darüber zu reden. Ingenieure beschäftigen sich bereits mit der Realisierung. Die fragen sich: Welche Materialien und welche Laser braucht man dazu? Das Projekt bietet handfeste wirtschaftliche Chancen, wenn wir dazu einen geeigneten Laser und Batterien entwickeln.

Wohin sollte der Chip segeln?

Ein Ziel wäre der von der Erde aus nächstgelegene Stern Proxima Centauri. Der wird von einem Planeten namens Proxima b umkreist – und zwar in einem Abstand, der lebensfreundliche Temperaturen auf der Planeten-Oberfläche verspricht. Proxima Centauri ist gut vier Lichtjahre von uns entfernt. Ein Chip mit Lichtsegel wäre also 20 Jahre dorthin unterwegs. Dann, genau im richtigen Moment, müsste er seinen Schnappschuss machen. Die Daten würden natürlich wieder vier Jahre unterwegs sein, bevor sie bei uns ankommen. Das wäre also ein 24 Jahre langes Vorhaben.

Reden wir über intelligente Außerirdische. Sie haben nachgerechnet, von wo aus andere Lebewesen die Erde an ihrem Himmel entdecken könnten. Was kam dabei heraus?

Mit unserer bestehenden Technologie können wir Planeten am besten entdecken, wenn sie zwischen uns und ihrem Stern durchziehen. Also haben wir den Spieß umgedreht und uns gefragt, wer die Erde mit ebendieser Methode sehen könnte. In unserer Nachbarschaft im Weltraum – also im Umkreis von 300 Lichtjahren – gibt es rund 1.000 Sterne. Diese Sterne bewegen sich, insofern ist die Frage etwas komplizierter – nämlich: wie lange die Bewohner eines anderen Planeten die Erde sehen könnten.

Also lautet die Frage: Wer hat uns irgendwann gesehen, wer sieht uns jetzt – und wer wird uns in Zukunft sehen?

Genau. Wir haben das an der menschlichen Zivilisation festgemacht, die vor rund 5.000 Jahren deutlich gewachsen ist: Welche Sterne und Planeten waren damals in einem Bereich, von dem aus wir zu entdecken waren? Dann haben wir den Untersuchungszeitraum 5.000 Jahre in die Zukunft ausgedehnt.

In diesen 10.000 Jahren gibt es 2.043 Sterne in maximal 300 Lichtjahren Entfernung, die uns gesehen haben könnten oder in die Position kommen werden, uns zu sehen. Darunter sind auch sieben Sterne, von denen wir wissen, dass sie Planeten haben – ein paar davon sogar in einer lebensfreundlichen Umlaufbahn.

Zum Beispiel?

Das schon erwähnte Trappist-1-System mit seinen vier Planeten, die in der habitablen Zone liegen. Wir können diese Planeten jetzt schon sehen, aber von dort aus werden Beobachter die Erde erst in zirka 1.600 Jahren sehen. Wir wissen also bereits, dass es diese Planeten gibt, aber Lebewesen dort können noch nicht wissen, dass die Erde vorhanden ist – jedenfalls nicht, wenn sie uns mit unseren Methoden suchen.

Exoplanet Ross 128b ist ein anderer Kandidat, rund 12 Lichtjahre entfernt. Da im Schnitt jeder fünfte Stern einen Gesteinsplaneten besitzt, sind das mindestens 400 Planeten, von denen aus die Erde gesehen werden konnte oder zu sehen sein wird. Eine weitere spannende Frage ist, bei wie vielen dieser Himmelskörper schon Radiosignale von der Erde angekommen sind. Wir senden sie erst seit rund 100 Jahren aus, sodass sie bisher nur 75 dieser Sterne erreicht haben. Das heißt, bei rund 15 Planeten sind unsere Radiowellen bereits angekommen.

Es ist gut möglich, dass es schon seit langem Signale gibt, die wir mit unseren jetzigen Möglichkeiten einfach nicht verstehen.

Lisa Kaltenegger, Astrophysikerin

Nehmen wir einmal an, es gäbe doch irgendwann die Möglichkeit, zu einem fernen Planeten zu reisen, der Anzeichen von Leben aufweist. Wer sollte dort hinreisen?

Ich hoffe natürlich, wir würden neugierige Wissenschaftler losschicken, die nur schauen wollen, was dort los ist. Aber ich fürchte, viele Science-Fiction-Filme liegen gar nicht so falsch mit der Idee, dass als Erstes eine militärische Operation entsandt wird, die im Zweifelsfall zuerst einmal schießt, bevor Fragen gestellt werden. Es ist deswegen ganz gut, dass wir nicht so einfach zum nächsten Sternensystem kommen.

Dadurch haben wir noch etwas Zeit, uns weiterzuentwickeln und friedfertiger zu werden.

Und Wissenschaftler müssen noch grundsätzliche Fragen beantworten: Wie sieht es mit der Quarantäne aus? Welches Protokoll gäbe es, wenn man sich nicht verständigen kann? Würden wir womöglich etwas falsch interpretieren und so einen intergalaktischen Krieg auslösen? Es ist gut, dass wir genug Zeit haben, darüber nachzudenken.

Wie, denken Sie, würden wir Menschen auf der Erde reagieren, wenn wir tatsächlich Kontakt aufnehmen oder sich jemand bei uns meldet?

Es ist gut möglich, dass es schon seit langem Signale gibt, die wir mit unseren jetzigen Möglichkeiten einfach nicht verstehen. Ich finde es amüsant, wenn sich Leute darüber Gedanken machen, wie wir uns vor Aliens verstecken könnten. Wenn uns jemand entdecken will, hätte der schon seit 2,5 Milliarden Jahren die Gelegenheit, uns anhand des Sauerstoffs in der Atmosphäre ausfindig zu machen. Sich jetzt Sorgen darüber zu machen oder panisch zu werden ist absolut verspätet.

Gut, verstecken geht also nicht mehr. Aber sollten wir uns fürchten oder freuen?

Der Film „Contact“ beschreibt sehr gut, wie Menschen reagieren könnten, wenn wir tatsächlich anderes Leben finden: Manche werden religiös und fanatisch, manche haben Angst, andere freuen sich. Wir tasten uns an diese Fragen schrittweise heran.

Für wie dringend halten Sie es, dass wir hier bald Antworten finden?

Wir haben in kurzer Zeit gewaltige Fortschritte gemacht: von der Entdeckung des ersten Planeten außerhalb unseres Sonnensystems im Jahr 1995 bis zu den ersten Planeten, die klein genug sind und im richtigen Abstand um einen Stern namens Kepler-62 kreisen, im Jahr 2013. Bis heute wissen wir nichts Genaueres über die Planeten Kepler-62e und f, weil sie rund 1.000 Lichtjahre entfernt sind.

Aber wie wir gesehen haben, kann der wissenschaftliche Fortschritt rasant sein. Wir sind die erste Generation, die weiß, dass es solche Planeten gibt, und obendrein, dass es eine ganze Menge davon gibt. Stellen Sie sich vor, in ferner Zukunft fliegt der erste Kapitän oder die erste Kapitänin eines Raumschiffs los und hat eine alte, antike Sternenkarte mit den ersten paar dieser fernen Planeten dabei. Genau diese Karte fertigen wir gerade an.

Diese Geschichte erschien erstmals im Terra Mater Magazin 4/2021.

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