Ein Tag schreibt Geschichte: Der Neubeginn der Schöpfung

CHARLES ROBERT DARWIN IST NICHT WIRKLICH ÜBERRASCHT, als die kargen Formen des Galápagos-Archipels, tausend Kilometer westlich der Küste von Ecuador, langsam über dem Horizont auftauchen. Die 13 großen und mehr als 100 kleinen Inseln bis hin zum Felsenhaufen mit 150 Quadratmeter Fläche sind seit 300 Jahren bekannt.
Als der damals 26-Jährige dann aber am 16. September 1835 zum ersten Mal eine dieser Inseln betritt – es ist die Chatham-Insel, die heute San Cristóbal heißt –, kann er seine Enttäuschung doch nicht ganz verbergen. In sein Reisetagebuch notiert er am Abend: „Nichts kann weniger einladend sein als dieser erste Anblick. Überall ist schwarze Lava, völlig überwachsen von blattlosem Gestrüpp und niedrigen Bäumchen[…]. So wie dieses Land könnte man sich den kultivierteren Teil der Hölle ausmalen.“
Die Galápagos-Inseln liegen zwar genau am Äquator, an die Tropen erinnern aber bestenfalls die schwülheiße Luft und die drückende Atmosphäre. Darwin, nicht nur Zoologe und Botaniker, sondern auch – und oft genug hauptsächlich – Geologe, erkennt sofort den vulkanischen Ursprung der Inseln. Also können sie nicht sehr alt sein. Die Kargheit findet wiederum für den Biologen in ihm ihren zählbaren Ausdruck in auffälliger Artenarmut. Ein paar Kakteen stehen herum, Gräser bedecken das Vulkangestein; er stößt auf Riesenschildkröten und reitet sogar auf einer. Andere wird er essen. Dafür käme er heute ins Gefängnis.
Was ihm auffällt: Die Tiere hier sind praktisch ohne Scheu vor dem Menschen, auch die zahlreichen Finken und Spott drosseln – an denen ihm bald noch etwas ganz anderes auffallen wird.
Nichts kann weniger einladend sein als dieser erste Anblick. Überall ist schwarze Lava, völlig überwachsen von blattlosem Gestrüpp und niedrigen Bäumchen[…]. So wie dieses Land könnte man sich den kultivierteren Teil der Hölle ausmalen.
Charles Darwin, englischer Naturforscher (1809-1882), über seine Ankunft auf den Galapagos-Inseln am 16. September 1835
Seit mehr als dreieinhalb Jahren ist Darwin nun auf der dreimastigen HMS „Beagle“ unterwegs. Zwischen England und den Galápagos-Inseln hat er bereits die Hebung von Inseln geklärt, zahlreiche neue Tierarten entdeckt, die Ureinwohner von Feuerland kennengelernt und die Folgen des großen Erdbebens von 1835 in Chile gesehen. Am Ende, im Oktober 1836, wird es eine Weltreise gewesen sein, von England über den Atlantik in den Pazifik, nach Tahiti und Australien und rund ums Kap der guten Hoffnung wieder zurück: vier Jahre, neun Monate und fünf Tage unterwegs – davon 533 Tage auf dem Schiff, was für den unheilbar Seekranken insgesamt unangenehm, bei schwerem Wetter eine Tortur ist. Um in die Hängematte in seiner drei mal drei Meter großen Kabine zu klettern, sind die „lächerlichsten Schwierigkeiten“ zu überwinden; bei der ersten Äquatorüberquerung wird der Naturforscher brauchtumsgemäß zwangsrasiert und mit Wasser übergossen. 74 Männer drängen sich auf der 30 Meter langen „Beagle“ zusammen. Der junge, stets freundliche Naturforscher ist bei der Mannschaft beliebt, man nennt ihn den „Fliegenfänger“. Er fängt nicht nur Fliegen: 1.529 Tiere in Spiritus und 3.906 getrocknete Tiere, darunter 500 Vögel, schickt er von unterwegs mit anderen Schiffen nach England oder bringt sie am Ende selbst mit nach Hause.
Dass Darwin überhaupt auf die „Beagle“ gelangt ist, verdankt er glücklichen Umständen. Kapitän Robert FitzRoy soll entlang der südamerikanischen Küste kartografische und im Pazifik chronometrische und meteorologische Messungen durchführen und sucht für die lange Reise eine Art Gesellschafter aus gutem Haus mit naturwissen chaftlichen Kenntnissen. Er fragt einen Freund, den bekannten Botaniker John Stevens Henslow, doch der will sich den Beschwernissen und Unwägbarkeiten einer Weltumseglung nicht aussetzen und empfiehlt ihm den jungen Charles Darwin, der eben in Cambridge sein Studium der Theologie abgeschlossen hat.
FitzRoy ist Anhänger der Physiognomielehre des Schweizer Theologen Lavater. Nach dieser verspricht die Form von Darwins Nase einen Mangel an Ausdauer, was ihn für einen mehrjährigen Segeltörn unter den allerbeengtesten Verhältnissen nicht dringend empfiehlt. Ein persönliches Treffen zerstreut aber die Bedenken des wissenschaftlich ebenfalls interessierten Kapitäns. Offiziell ist Darwin übrigens nicht als Naturforscher an Bord. Diese Rolle fällt dem Schiffsarzt zu.
Als schließlich Darwins Vater, ein erfolgreicher Arzt, der dem Unternehmen zunächst ablehnend gegenübersteht, seine Zustimmung herausrückt, beginnt Charles’ große Zeit. Und im Grunde ist es für ihn eine Rettung in letzter Sekunde. Fast wäre er in eine Existenz als freizeitbotanisierender Landpfarrer hineingeraten.
Der Lebensweg des 1809 in eine wohlhabende englische Familie und damit in ein rechtes Jane Austen-Setting Hineingeborenen ist bis dahin nicht eben geradlinig verlaufen. Seine Interessen beschränken sich lange auf Jagen, Reiten und Tieresammeln. Der Vater sieht für den Sohn schließlich die Laufbahn des Arztes vor und schickt ihn nach Schottland zum Medizinstudium. Das bricht Charles bald ab, da er es sozusagen magenmäßig nicht verträgt (damals wurde noch ohne Betäubung operiert). Nach einigem Hin und Her befiehlt ihn der Vater nach Cambridge, wo er Theologie studiert – zwar ohne Enthusiasmus, aber mit Abschluss. Sowohl in Schottland als auch in Cambridge hat Darwin Kontakt zu Biologen und Geologen, liest einschlägige Bücher, sammelt Insekten, studiert die Natur.
Nichts in der Geschichte des Lebens ist beständiger als der Wandel.
Charles Darwin, englischer Naturforscher (1809-1882)
Als Darwin die Reise mit der „Beagle“ antritt, ist er noch Anhänger der Naturtheologie: Die Zweckmäßigkeit der Lebewesen, die über die Jahrtausende hinweg unveränderlich in ihrer Art sind, beweist die Existenz Gottes.
Auf den Galápagos-Inseln fallen Darwin jedoch Phänomene auf, die er sieben Monate später, noch an Bord der „Beagle“, in seinem Tagebuch kommentieren wird: „[…]denn derartige Fakten würden die Auffassung von der Unveränderlichkeit der Arten untergraben.“
Dieser Halbsatz enthält den Keim der Evolutionstheorie, mit der Charles Darwin die Schöpfungsgeschichte neu schreiben wird.
Die erwähnten Fakten betreffen die Unterschiedlichkeit von Spottdrosseln – und nicht der viel zitierten Darwin-Finken, die in Wahrheit kaum eine Rolle spielten – auf den verschiedenen Inseln des Archipels, die auf eine Entwicklung, also Veränderung, einer Art hindeuten, wenn die Umweltbedingungen andere sind.
Nach der Heimkunft beschließt der finanziell von der Familie reichhaltig ausgestattete Darwin, von nun an das Leben eines Privatgelehrten zu führen. Er gründet eine Familie und veröffentlicht unter anderem Werke zur Geologie oder über Rankenfußkrebse (mehr als 1.000 Seiten!) und seinen berühmten, tatsächlich auch heute noch lesbaren Reisebericht über die Weltumsegelung; darüber hinaus experimentiert er mit Samen in Salzwasser und züchtet allerhand Pflanzen.
Wir wissen mit absoluter Gewissheit, daß Arten aussterben und andere Arten sie ersetzen.
Charles Darwin, englischer Naturforscher (1809-1882)
Spätestens ab 1837 nehmen seine Gedanken über die Veränderlichkeit der Arten konkrete Gestalt an: Die Evolutionstheorie ist im Werden. Im September 1838 erkennt Charles Darwin das Grundgesetz der Evolution: Der jeweils am besten an die Umwelt angepasste Organismus überlebt und gibt seine Fähigkeiten an die Nachkommen weiter („The Survival of the Fittest“). 1842 und 1844 schreibt er zwei Essays, in denen die Veränderlichkeit der Arten durch natürliche Zuchtwahl als Grundlage der Evolution bereits konzis formuliert ist. Er beschließt aber, seine Erkenntnisse nicht zu veröffentlichen, weil er sich über die Entstehung neuer Arten noch nicht ganz im Klaren ist.
Erst als Darwin 1858 erfährt, dass ein anderer Naturforscher, Alfred Russel Wallace, auf praktisch alles, was Darwin erforscht und erkannt hat, unabhängig von ihm selbst gekommen ist und unmittelbar vor der Veröffentlichung steht, muss plötzlich alles sehr schnell gehen. 1859 erscheint sein berühmtes Buch „On the Origin of Species by Means of Natural Selection“.
Darüber, ob er sich bei Wallace bedient hat, der ihm seine Erkenntnisse vorab in einem Brief verriet, herrscht bis heute keine Einigkeit. Die damit verbundenen Vorgänge sind äußerst komplex, und im Grunde wird Darwin von vielen Historikern nur aus Mangel an Beweisen freigesprochen. Den Ruhm fährt er jedenfalls allein ein.
Was auch immer geschehen sein mag: Die beiden Wissenschafter sind jedenfalls bis zu Charles Darwins Tod 1882 befreundet.

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