Klimaforschung in Grönlands Unterwelt
Wer wissen will, welches Klima vor 500.000 Jahren auf Grönland herrschte, der muss in eine Höhle, 35 Kilometer von der Ostküste der arktischen Insel steigen. Dort fand die Innsbrucker Geologin Gina Moseley einen so genannten „Sinter“, also eine flächige Ablagerung, wie sie in langsam abfließendem Wasser auskristallisiert. Dieses 12 Zentimeter kleine Beweisstück eröffnete ihr einen Einblick in eine Vergangenheit, die sich deutlich von der Gegenwart unterscheidet – und wesentlich für unsere Zukunft sein könnte.
Schon die Tatsache, dass Moseley mit ihren Expeditionsmitgliedern auf Grönland einen Sinter finden konnte, überrascht. Denn die Region ist heute eine polare Wüste, der Boden ist das ganze Jahr über gefroren. Vor einer halben Million Jahren war die Erde kühler als heute. Wie also konnte auf Grönland Wasser geflossen sein? Die Daten, die Moseley aus dem Sinter gewinnen konnte, zeigen, dass die Erde damals anders zur Sonne gestanden ist als heute. Dadurch war die Arktis – mitten in einer globalen Kältephase – wärmer als heute. Es gab daher in der Region vergleichsweise weniger Eis und mehr Niederschlag. So konnten die Ablagerungen entstehen.
Moseleys Entdeckung, über die sie Ende März im Wissenschaftsjournal „Science Advances“ berichtete, schließt eine gigantische Wissenslücke. Bisher konnten Forscher Temperatur und Niederschlag in Grönland nur anhand von Eisbohrkernen rekonstruieren, die bis rund 128.000 Jahre in die Vergangenheit reichen. Davor war es auf Grönland schlicht zu warm für die Entstehung von Eisschichten.
Die gebürtige Britin Moseley ist nun schon mehrfach in die entlegenen Höhlen Grönlands gestiegen. Die Expeditionen dorthin sind logistisch aufwendig und körperlich anstrengend, die Fundstellen sind erst nach langen Fußmärschen und einiger Kletterei zu erreichen. Begleitet wird sie dabei meist von ihrem Partner, dem ebenfalls aus Großbritannien stammenden renommierten Höhlenfotografen Robbie Shone. Der hat seine spektakulären Aufnahmen schon mehrfach im Terra Mater Magazin präsentiert. Zuletzt in einer Geschichte über den Gletscherschwund in den Alpen.
Moseley nimmt die Herausforderungen solcher Expeditionen ganz bewusst in Kauf, denn sie ist sich sicher: „Besser zu verstehen, wie sich dieser sensible Teil der Welt in einer wärmeren Zukunft verändern wird, ist für die Zukunft von höchster Priorität.“
Rolex-Preis 2021 für Moseleys Arbeit
Die Geologin und Höhlenforscherin Prof. Gina Moseley vom Institut für Geologie der Uni Innsbruck wurde im Juni 2021 mit dem „Rolex Preis für Unternehmungsgeist“ ausgezeichnet. Das Unternehmen Rolex unterstützt mit der hochdotierten Auszeichnung besonders visionäre Projekte. Moseley ist die einzige Preisträgerin in Europa.
Wertvolles Klimaarchiv
In ihrem nun geförderten Projekt baut die Geologin ihre Forschungsarbeit in den Höhlen Grönlands weiter aus. Moseley bereitet im Moment eine Expedition in die nördlichsten Höhlen Grönlands vor, um dort an – teilweise noch nie von Menschen besuchten – Orten Zeugnisse vergangener Klimaentwicklungen aufzuspüren. Durch die Analyse von Ablagerungen in den nördlichsten Höhlen der Welt trägt Gina Moseley zu einem besseren Verständnis des Klimas in der Arktis bei. Ihre Analysen erlauben einen präzisen Blick in die arktische Klimaentwicklung – bis zu mehrere hunderttausend Jahre in die Vergangenheit. Angesichts steigender Temperaturen sind diese Daten für Klimaprognosen von großer Bedeutung. Um die Höhlenablagerungen beproben zu können, sind spektakuläre und aufwendige Expeditionen in den Norden Grönlands nötig. Die dortigen Höhlen sind nur auf sehr beschwerlichem Weg über Luft und Wasser sowie mit langen Fußmärschen erreichbar.
Spektakuläre Expeditionen
Gina Moseley erkannte die Bedeutung der Höhlen im Nordosten Grönlands bereits 2008 während ihrer Promotion in Bristol, Großbritannien. Im Jahr 2015 leitete sie bereits eine fünfköpfige Expedition. Moseley erlangte dadurch erstmals Zugriff auf das einmalige hocharktische Klimaarchiv. Dafür wurde die Geologin mit dem renommierten START-Preis des Österreichischen Wissenschaftsfonds (FWF) ausgezeichnet. Im Juli 2019 brachen Moseley und ihr Team des Greenland-Caves-Project zu ihrer dritten Expedition nach Nordost-Grönland auf.

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