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Quantencomputer: Das Versprechen der Zukunft

Werden Quantencomputer unser aller Zukunft prägen? Was steckt hinter der neuartigen Technologie? Antworten aus dem Forschungslabor in Innsbruck. Nur eines ist sicher: Bis das Gerät als Weihnachtsgeschenk taugt, dauert es wohl noch Jahre.
Text: Thomas Trescher, Fotos: Gregor Kuntscher / 5 Min. Lesezeit
Bauteil eines Quantensystems: Mit Linsen, Spiegeln, Kristallen, Lichtleitern und Messgeräten versuchen Grundlagenforscher, einzelne Photonen für die Berechnung bisher unlösbarer Rechenaufgaben zu domptieren. Foto: Gregor Kuntscher
Bauteil eines Quantensystems: Mit Linsen, Spiegeln, Kristallen, Lichtleitern und Messgeräten versuchen Grundlagenforscher, einzelne Photonen für die Berechnung bisher unlösbarer Rechenaufgaben zu domptieren.
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Zuerst gab es ein geschickt lanciertes Gerücht. Dann, am 23. Oktober 2019, wurde es offiziell. Das renommierte britische Wissenschaftsjournal „nature“ veröffentlichte einen Artikel, in dem der Internetkonzern Google von einer Zeitenwende berichtet. In einer Forschungsabteilung der Company sei es gelungen, einen enorm rechenstarken Quantencomputer zum Laufen zu bringen. Um seine Fähigkeiten zu belegen, stellten ihm die Techniker eine Aufgabe, für deren Lösung die besten herkömmlichen Computer angeblich 10.000 Jahre benötigen würden. Googles Quantencomputer spuckte das richtige Resultat schon nach drei Minuten und 20 Sekunden aus.

Mit dieser Machtdemonstration sei nun das Zeitalter der „Quantum Supremacy“ angebrochen, so formulierten es Googles Wissenschaftler recht martialisch. Sie meinen damit: Nach vielen Jahren der mühsamen Grundlagenforschung sind Quantencomputer ab sofort herkömmlichen Computern überlegen. Viele Beobachter reagierten elektrisiert: Die 200 Sekunden Rechendauer werden schon mit den historischen zwölf Sekunden verglichen, die der erste Motorflug der Gebrüder Wright im Jahre 1903 gedauert hatte.

Tatsächlich könnten Quantencomputer die Welt ähnlich grundlegend verändern wie die Luftfahrt. Expertenschwärmen schon lange von der ungeheuren Leistungsfähigkeit dieser Rechner. Durch die clevere Nutzung der wunderlichen Gesetze der Quantenphysik sollen sie bislang unbewältigbare Probleme lösen (siehe unten). Etwa Codes entschlüsseln oder große Datenbanken durchsuchen, chemische Prozesse perfekt simulieren oder optimal gefaltete Proteine für die Pharmazie finden.

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Quantencomputer im Labor des Innsbrucker IQOQI: Entscheidend für die Rechenkapazität ist nicht bloß die Zahl der Quanten, sondern auch ihre Interaktion untereinander. Foto: Gregor Kuntscher
Quantencomputer im Labor des Innsbrucker IQOQI: Entscheidend für die Rechenkapazität ist nicht bloß die Zahl der Quanten, sondern auch ihre Interaktion untereinander.

Und all das soll – dank Googles Forschungsmillionen viel früher als allgemein angenommen – schon möglich sein? Ist die Quantum Supremacy tatsächlich schon erreicht?

Schauplatzwechsel vom sonnigen Kalifornien ins wolkenverhangene Innsbruck. „Schönes Ergebnis, von dem Google da berichtet. Aber das Tohuwabohu, das darum gemacht wird, zipft mich an“, grummelt hier in Tirol der Quantenoptiker Rainer Blatt. Mit seinem Kollegen, dem theoretischen Physiker Peter Zoller, hat er das Institut für Quantenoptik und Quanteninformation (IQOQI) in Innsbruck zu Weltruf gebracht. Auch in Innsbruck wird mit Hochdruck an einem Quantencomputer gearbeitet. Aber mit der „Quantum Supremacy“ haben beide ein Problem. Für Blatt beginnt es beim Begriff selbst: „Der klingt nach White Supremacy und Ku-Klux-Klan. Ich habe zumindest im europäischen Raum den Begriff ‚Quantum Advantage‘ durchgesetzt.“

Also gut, neuer Anlauf, Herr Professor: Hat sich Google also einen „Quantum Advantage“ verschafft? Um die Frage zu beantworten, holt Blatt ein wenig aus und bittet zu einer Tour de Force ins Reich der Quanten. Deren wichtigstes Merkmal: Sie sind Teilchen und Welle gleichzeitig. Das macht den ganzen Unterschied zwischen einem Bit, das in klassischen Computern agiert, und dem Quantenbit, das dem Quantencomputer seine Talente verleiht. Während ein Bit nämlich nur den Zustand 0 oder 1 ausweisen kann, stecken in einem Quantenbit (genannt „Qubit“) beide Möglichkeiten gleichzeitig. Superposition heißt diese Eigenschaft. Um es weiter zu verkomplizieren: Sobald ein Quantum gemessen wird, verliert es seine Superposition.

Aber solange die Mehrdeutigkeit des Qubits aufrechterhalten wird, lässt sie die Rechenleistung eines Quantencomputers schnell ins Unvorstellbare wachsen. Einen Rechner mit 20 Qubits hatten Zoller und Blatt im Frühjahr präsentiert, 54 hat Google in seinem Rechner verbaut. Dessen theoretische Rechenleistung ist vergleichbar mit jener des IBM-Supercomputers „Summit“, der mit 250 Petabyte Festplattenspeicher – ein Petabyte sind eine Million Gigabyte – arbeitet. Aber, sagt Blatt, auch in der Welt der Qubits gehe Qualität vor Quantität. „Die Frage, die sich mir beim Google-Rechner wissenschaftlich stellt: Wie tief ist der Schaltkreis? Wie gut wirken die Qubits zusammen?“ All das sei noch unbekannt.

Nur eines sei schon jetzt klar, sagt Blatts Kollege Peter Zoller: „Es ist nicht so, dass da eine Schwelle überschritten wurde und wir plötzlich das magische Land betreten.“ Zoller und Blatt halten die Forschungen bei Google für bemerkenswert, aber sie sehen die Gefahr eines Hypes, der unerfüllbare Erwartungen weckt.

Selbst kleinste Irritationen zerstören die magisch wirkenden Eigenschafen der Quanten, die der Forscher als Rechen-Rohstoff nutzt. Deshalb ist der sogenannte Lichttisch, an dem Experimentalphysiker Rainer Blatt hier hantiert, luftgefedert. Foto: Gregor Kuntscher
Selbst kleinste Irritationen zerstören die magisch wirkenden Eigenschafen der Quanten, die der Forscher als Rechen-Rohstoff nutzt. Deshalb ist der sogenannte Lichttisch, an dem Experimentalphysiker Rainer Blatt hier hantiert, luftgefedert.

Bevor man seiner Großmutter einen Quantencomputer zu Weihnachten schenkt, werden noch einige Jahre vergehen.

Peter Zoller, Theoretischer Physiker

Um ihre Skepsis zu verstehen, lohnt sich auch ein genauerer Blick auf das, was Googles Rechner tatsächlich geleistet hat: Die Gleichung, die er zu lösen hatte, war maßgeschneidert für seine Talente. „Das ist eine praktisch irrelevante, konstruierte Aufgabenstellung“, erklärt Zoller. Dazu kommt: Googles Konkurrent IBM behauptet, dass der hauseigene Supercomputer die gestellte Aufgabe in zweieinhalb Tagen gelöst hätte – und das ganz ohne Qubits. Das ist zwar immer noch mehr als Googles 200 Sekunden, aber doch bedeutend kürzer als 10.000 Jahre.

Das Problem mit Qubits ist außerdem, dass sie nicht allzu konzentriert sind bei ihrer Arbeit; und wenn sie abgelenkt sind, sind sie wertlos. Hitze, Geräusche, der Versuch, sie gar zu messen – das alles macht ein Qubit zu einem normalen Bit, das den Wert 0 oder 1 annimmt. Diese Problematik macht Quantencomputer extrem fehleranfällig – was zur nächsten Herausforderung führt: Um zu kontrollieren, ob ein Qubit korrekt arbeitet, müsste man es eigentlich messen – wo-durch es aber seine Superkraft der Superposition verliert. Quantenforscher haben auch dafür eine Lösung gefunden: Sie wollen ein logisches Qubit erzeugen, auf das die Informationen eines „normalen“ Qubits übertragen und damit kontrolliert werden kann. „Es gibt diese Witzchen, dass ein Quantencomputer 99,99 Prozent seiner Zeit mit Fehlerkorrektur verbringt“, erzählt Peter Zoller. „Da braucht es also noch viel an Grundlagenforschung.“ Rainer Blatt beschäftigt das Problem seit Jahren, für ihn ist es „der heilige Gral eines Quantencomputers.“ Auch er versucht mit seinem Team, ein logisches Qubit herzustellen; und er ist auf einem guten Weg: „Im Moment wissen wir: Jede einzelne Komponente funktioniert.“

Physiker Peter Zoller: Von ihm stammen grundlegende Konzepte zum Quantencomputer. Doch Zoller hält es für möglich, dass die Entwicklung dieser Rechner an bisher unentdeckten Prinzipien der Quantenphysik scheitern. Foto: Gregor Kuntscher
Physiker Peter Zoller: Von ihm stammen grundlegende Konzepte zum Quantencomputer. Doch Zoller hält es für möglich, dass die Entwicklung dieser Rechner an bisher unentdeckten Prinzipien der Quantenphysik scheitern.

Wer Blatt und Zoller zuhört, dem wird klar: Es ist ein weiter Weg, bis der „Quantum Advantage“ errungen ist.  Oder, wie es Zoller ausdrückt: „Bevor man seiner Großmutter einen Quantencomputer zu Weihnachten schenkt, werden noch einige Jahre vergehen.“ Der Quantencomputer, sagt Blatt, werde erst am Ende einer langen Entwicklung verfügbar sein. „Derzeit versuchen viele, zu laufen, bevor sie gehen können.“ Für ihn ist noch nicht einmal gesichert, ob Quantencomputer wirklich all die Rechenfähigkeiten liefern werden, über die sie theoretisch verfügen sollten.

Doch schon der Weg zu diesem Ziel sei voller Attraktionen, meint Rainer Blatt: „Für den Quantencomputer müssen wir neue Messverfahren mit Quantenmethoden entwickeln. Diese Technologien können extrem nützlich sein. Ich glaube, die breite Öffentlichkeit wird viel früher von den Messtechniken als von einem Quantencomputer profitieren.“ Etwa durch wesentlich genauere Satellitennavigation.

Doch das ist noch längst nicht das größte Ziel, das die Wissenschaftler und Techniker bei ihrem Wettlauf um den besten Quantencomputer erreichen könnten. So seltsam das klingt: Auch ein komplettes Scheitern wäre ertragreich. „Wenn wir beim Bau immer größerer Quantencomputer entdecken, dass er prinzipiell nicht funktioniert, würde das bedeuten, dass unser heutiges Verständnis der Quantenmechanik falsch ist – und dann müssten wir die Physik revidieren“, sagt Zoller. „Das wäre die Schönste aller Erkenntnisse.“

Infografik: Wie funktioniert die Physik hinter dem Quantencomputer?

Die Physik hinter dem Quantencomputer
Die Physik hinter dem Quantencomputer