Kolumbien: Die alte Königin des Dschungels

Die Gelegenheit für den ersten Flug mit der alten DC-3 wäre günstig, meint Andrés Hernández, der 24-jährige Chef der Aliansa Airline, während einige seiner Mechaniker noch neue Propeller an die großen Sternmotoren montieren, die alten hatten seltsame Vibrationen entwickelt. Fifi Kate, wie die 70 Jahre alte Maschine von allen genannt wird, brauche daher einen Probeflug. Und Capitán María Nubia Álvarez, die einzige DC-3-Pilotin Südamerikas, solle bei der Gelegenheit auch einige Standardmanöver fliegen, nachdem sie ein paar Jahre nicht in der Luft war und ihre Lizenz auffrischen muss.
Dabei zeichnet Andrés mit seinen Armen Kurven nach, die nicht nur bei Menschen mit Flugangst Sorgenfalten hervorrufen würden. Was man alles als günstige Gelegenheit bezeichnen kann: unerprobte Teile am Flugzeug, mutwillige Manöver in der Luft und eine Pilotin, die schon länger nicht geflogen ist. Wir hätten uns für den ersten Flug auch ein, zwei Unwägbarkeiten weniger vorstellen können. Aber eine bessere Gelegenheit, um die alte Königin des Dschungels näher kennenzulernen, würde sich an diesem Tag nicht mehr ergeben.
Wir sind am Flughafen Vanguardia von Villavicencio, nicht weit entfernt von der kolumbianischen Hauptstadt Bogotá, dazwischen liegen nur die Ausläufer der Anden. Vanguardia ist der zentrale Knotenpunkt für den Flugverkehr in den Regenwald, der unter sehr speziellen Bedingungen stattfindet: Die eingesetzten Maschinen sind uralte Douglas DC-3, kaum eine jünger als 70 Jahre; keine, die nicht schon gröbere Zwischenfälle in ihrem Bordbuch verzeichnet hätte. Die Region, der kolumbianische Teil Amazoniens, ist für ihr unberechenbares Wetter ebenso bekannt wie für ihre kaum besser einschätzbare politische Lage. Die Dörfer, die angeflogen werden, sind auf dem Landweg nicht erreichbar, weil es in diesem Eck der Erde keine Straßen gibt, noch nie gegeben hat. Dörfer, die Google Maps nicht oder falsch lokalisiert, Dörfer, die keine befestigten Landebahnen haben, Dörfer, die – auch wenn sich die Situation zuletzt etwas entspannt hat – im Einflussgebiet der Drogenkartelle und der Guerillabewegung FARC liegen.
Die Maschinen, der Dschungel, die Guerilla – es gibt ein paar Unsicherheitsfaktoren, wenn man hier fliegt. Insofern mag ein Testflug zum Eingewöhnen keine schlechte Wahl sein. Und letzte Bedenken verlieren sich schnell, sobald man einmal in das Flugzeug geklettert und durch den Laderaum Richtung Cockpit hinaufgestiegen ist und ansatzlos in die früheste Ära des Fliegens eintaucht. Die Instrumente analog, die Steuerung mechanisch, die Motoren ungefiltert laut: Das ist Fliegen wie in den 1930er-Jahren, aber nicht als Showact, nicht als historischer Rundflug, sondern als täglicher Job für mutige Männer und Frauen.




Die mächtigen Propeller-Triebwerke sind angeworfen, die Checkliste ist abgearbeitet. Nubia schiebt das schwere Hebelwerk in der Mitte des Cockpits nach vorn. Fifi Kate gewinnt langsam, aber kontinuierlich an Geschwindigkeit und hebt sanft, fast unbemerkt ab. Kein Raketenstart, nichts zum Fürchten. Nubia lässt das Flugzeug nach links und nach rechts abfallen, um es in großem Bogen wieder auf Kurs zu bringen, sie führt es steil nach unten, um es sauber wieder abzufangen. Wer jetzt nicht angeschnallt ist – und das ist niemand an Bord –, sucht eilig nach einem sicheren Halt, um den Fliehkräften etwas entgegenzusetzen. Nubia schaltet die Triebwerke ein und wieder aus. Kein Grund zur Beunruhigung, obwohl der Alarm losgeht: Mit nur einem Motor zu fliegen gehört zu den speziellen Talenten der DC-3. Trotzdem hält man kurz den Atem an, bis die Motoren schließlich wieder anspringen.
Fifi liegt, sorgsam getrimmt, stabil in der Luft, lässt sich geschmeidig und gutmütig dirigieren. Nubia hat nichts verlernt, lenkt das große Trumm mit sparsamen, eleganten Bewegungen, ohne Hektik, ohne Anstrengung. Dazwischen immer wieder ein Blick zum geöffneten Fenster hinaus, zurück zu den Motoren, der typische Blick jedes DC-3-Piloten. Die Aggregate gehören zu den kritischen Teilen des Flugzeugs, vor allem der Ölverbrauch kann Probleme machen. Vier Liter pro Stunde sind es, mindestens. Und das nur, wenn die Motoren dicht sind.
„Man kann die Maschine fühlen“, sagt Nubia, „das ist das Schöne an der DC-3.“ Da drinnen! Sie deutet auf ihren Bauch. Ihr Kopilot, Capitán Jhon Acero, streckt seine Arme zur Seite aus: „In der Luft werden meine Arme zu verlängerten Flügeln.“ Ohne diese unmittelbare, körperliche Verbindung zur Maschine könne man eine DC-3 nicht beherrschen. „Fühle die Maschine, und du wirst sie fliegen.“ Das hat Nubia von ihrem wichtigsten Fluglehrer gelernt, ihrem Bruder. „Das Flugzeug, sagte er immer, gibt dir alle Informationen, die du brauchst“, erinnert sie sich, nachdem wir wieder zurück am Boden sind.



Man kann die Maschine fühlen, das ist das Schöne an der DC-3.
Capitán María Nubia Álvarez, die einzige DC-3-Pilotin Südamerikas
DC-3 zu fliegen ist eine sehr persönliche Angelegenheit zwischen Pilot und Flugzeug. Es sind keine anonymen Maschinen, es sind keine anonymen Piloten und schon gar keine Autopiloten. Jede DC-3 in Villavicencio und jeder Pilot haben ihre eigene Geschichte. Und die wiederum haben alles, was gute Geschichten brauchen: Heldentum, Tragik, Legendenbildung. Geschichten wie jene von Tomasito Caicedo, dem ersten indigenen DC-3-Piloten Kolumbiens, von Giovanni Borde oder Jaime Medina – legendären Männern im Cockpit der DC-3, ihre Heldentaten werden bis heute erzählt. Geschichten von waghalsigen Landungen und abenteuerlichen Bergungsaktionen, die immer das gleiche Ende haben: Die Helden sind irgendwann bei Abstürzen im Dschungel ums Leben gekommen.
Am Eingang zum Flughafen Vanguardia erinnern Gedenksteine an die verunglückten Piloten. Wir haben die Kolonnen von eingravierten, teilweise verwitterten Namen nicht nachgezählt, es sind jedenfalls mehr als 200, die in den vergangenen Jahrzehnten auf dem Flug von Villavicencio in den kolumbianischen Regenwald ihr Leben verloren haben.

Auch die Geschichte von Nubia Álvarez ist keine alltägliche. Dass sie in einem von Männern und Machos dominierten Beruf überhaupt Pilotin werden konnte, verdankt sie ihrem Bruder, dem Vorbesitzer der Aliansa. „Ohne ihn wäre das nicht möglich gewesen.“ Und es wäre auch heute noch schwierig. Obwohl Frauen besondere Talente mitbringen. „Sie sind umsichtiger, vorsichtiger“, meint Nubia. „Sie haben einen sechsten Sinn.“ Eigenschaften, die durchaus hilfreich sein können, wenn man DC-3 fliegt.
Ihr Bruder und ihr Mann wurden 2001 mitten auf der Straße vor dem Flughafen erschossen, in dieser Gegend kommt man schnell zwischen die Fronten von Guerillabewegung und Paramilitärs. Ein weiterer Bruder, ebenfalls Pilot, ist 1999 in einer DC-3 umgekommen. Sie persönlich kenne mindestens 20 andere Piloten, die ebenfalls mit dem Flugzeug tödlich verunglückt sind, „nicht alle in einer DC-3, aber die meisten“.
Nubia selbst hatte zwei gröbere Unfälle, beide Male brach bei der Landung das Fahrwerk, beide Male gab es zum Glück keine Verletzten. Dazu kommen noch hunderte kleinere Zwischenfälle. Mit dem Fliegen aufzuhören war aber nie ein Thema. „DC-3 zu fliegen ist mein Leben. Wenn ich fliege, fühle ich mich wie neugeboren.“ Und wenn sie die Kinder sieht, die mit großen Augen die Ankunft der Flieger erwarten, weiß sie auch, warum sie ihren Job liebt: „Dörfer wie Carurú, Tareira oder Pacoa hätten nichts, wenn wir nicht hinflögen. Kein Brot, keine Medikamente, keine Seife, keine Kekse. Nichts.“
Die DC-3 ist die einzige Verbindung der Dörfer im Regenwald zum Rest der Welt. Und bis heute sind die alten DC-3 unersetzbar. Es gibt keine Flugzeuge, die günstiger zu betreiben und die mit mehr Gewicht auf kurzen und schlechten Pisten zu landen sind. Knapp 700 Meter Landebahn reichen, um die bis zu 12 Tonnen schweren Maschinen auf den Boden zu bringen. Das hat mit der enormen Flügelfläche und mit den geringen Landegeschwindigkeiten zu tun – sie betragen nur etwas mehr als 100 km/h.

Fifi Kate hat den Testflug übrigens nicht bestanden, es gibt ein Problem mit den Kontakten, erzählt uns ein Mechaniker. Nichts Schlimmes, aber Piloten wie Mechaniker haben gelernt, keine unnötigen Risiken einzugehen. Die unkalkulierbaren Gefahren sind groß genug.
Die DC-3 mit der Kennung HK-4700 war von Anfang an ein Sorgenkind, das immer wieder Schwierigkeiten machte, wie wir erst nach unserem Flug erfahren. „Wir haben sie 2010 aus den USA nach Kolumbien geholt, aus dem Lyon Air Museum in Kalifornien“, erzählt Aliansa-Chef Andrés Hernández. „Es ist die einzige DC-3 in Kolumbien, die schon im Zweiten Weltkrieg geflogen ist.“ Der Kaufpreis betrug rund 220.000 Euro – ein guter Preis für eine Maschine, die relativ wenig geflogen wurde, meint Hernández. Ein halbes Jahr lang wurde sie zerlegt, neu aufgebaut, im November 2010 war das Flugzeug schließlich startklar. Einen Monat später explodierte beim Landen in Guerima die Bremshydraulik, Fifi Kate kippte in ein tiefes Loch, der rechte Flügel brach weg.
Mit unglaublichem Aufwand brachten die Mechaniker der Fluglinie die havarierte Maschine wieder in die Luft: Von einer ausrangierten DC-3 wurde eine Tragfläche abmontiert, 500 Kilometer auf der Straße (oder was man eben so Straße nennt in dieser Region) und 100 Kilometer auf dem Wasser nach Guerima transportiert und unter schwierigsten Bedingungen ausgetauscht. „Ohne das Improvisationstalent der Indigenen hätten wir das nie geschafft“, vergisst Andrés nicht hin-zuzufügen. Am Ende sollte es trotzdem noch richtig knapp werden, weil die FARC drohte, die Maschine abzufackeln.
Fifi Kate war nach diesem Zwischenfall noch mehr als eintausend Flugstunden in der Luft, nicht ohne immer wieder einmal unvorhergesehen umkehren zu müssen. Wenige Wochen nach unserem Besuch stürzte die Maschine endgültig ab. Pilot Alfonso Polanía, sein Kopilot und vier Passagiere kamen dabei ums Leben. Die Ursache konnte nicht geklärt werden. „Dieses Risiko ist Teil des Jobs“, meinte Nubia Álvarez nach dem Unglück. Viel mehr könne sie dazu gar nicht sagen.
Festgeschriebene Abflugzeiten und niedergeschriebene Flugpläne gibt es nicht. Geflogen wird, wenn es Bedarf gibt, wenn es das Wetter zulässt, wenn die Passagiere da sind, wenn das Flugzeug startbereit ist.
Fliegen in Kolumbien ist anders
Wir sind auf den Flug nach Mitú und Carurú gebucht, zwei Dörfer am Fluss Vaupés mitten im Regenwald. Am Hangar der Aliansa treffen wir unseren Piloten: Raúl Lozano, 64 Jahre alt, fliegt seit 34 Jahren in den Regenwald. Kein Draufgänger, kein Haudegen, sondern ein erfahrener, unaufgeregter, fast zurückhaltender Mann, zu dem man schnell Vertrauen fasst.
Festgeschriebene Abflugzeiten, niedergeschriebene Flugpläne gibt es nicht. Was es gibt, sind bestenfalls Absichtserklärungen. Geflogen wird, wenn es Bedarf gibt, wenn es das Wetter zulässt, wenn die Passagiere da sind, wenn das Flugzeug startbereit ist.
Besonders wetteranfällig sind die Rückflüge. In den Wintermonaten kommt es nicht selten vor, dass man Tage und Nächte im Dschungel abwarten muss, weil heftige Regenfälle die sandigen Pisten blitzschnell unter Wasser setzen und in unbrauchbare Rutschbahnen verwandeln. Unangenehm genug: Die Piloten werden nach Flugstunden bezahlt. Fliegen sie nicht, verdienen sie nichts.
„Der Wetterbericht ist gut“, sagt Raúl Lozano, „rund um Carurú könnte es ein paar Wolken geben, die wir umfliegen müssen.“ Aber auch das kann sich schnell ändern, noch sind wir ein paar Stunden von Carurú entfernt.
Unsere Maschine steht startklar am Hangar. Es ist sieben Uhr früh, die Morgensonne setzt die mit einer halben Million Nieten zusammengehaltene Aluminiumhülle in ein perfektes Licht. „Da ist das beste Flugzeug der Welt“, schwärmt Raúl. Jedenfalls gehöre es zu den schönsten Flugzeugen der Welt. „Es ist stabil, man kann es fast überall landen.“ Für Menschen mit Flugangst übersetzt: Wenn man abstürzt, hat man in der DC-3 prinzipiell keine schlechten Karten. DC-3 lassen sich gut notlanden, auch auf dem Wasser, immerhin. Einmal abgesehen davon, dass man sich Notlandungen irgendwo im Dschungel ungern vorstellt, unabhängig von den Überlebenschancen.
Der Flug ist ausgebucht, 20 Passagiere warten mit uns auf den Abflug, Bewohner der Dörfer, Militärs und Polizisten, Ingenieure, Geschäftsleute. Die Sicherheitskontrollen am Flughafen Vanguardia entsprechen europäischen Standards, der kurze Weg zum Flugfeld wird zu Fuß erledigt, Militärs überwachen den Einstieg.
Dem Gepäck gilt ihre besondere Aufmerksamkeit – aus polizeilichen Gründen: Man kann wohl davon ausgehen, das nicht alles immer legal ist, was in die Dschungelflieger geladen wird. Und aus Sicherheitsgründen: Überladung gehörte früher zu einer der häufigsten Absturzursachen. Inzwischen wird sehr genau darauf geachtet, dass die knapp drei Tonnen Ladekapazität nicht überschritten werden.





Dörfer wie Carurú, Tareira oder Pacoa hätten nichts, wenn wir nicht hinflögen. Kein Brot, keine Medikamente, keine Seife, keine Kekse. Nichts.
Capitán María Nubia Álvarez, die einzige DC-3-Pilotin Südamerikas
Die Flüge sind in erster Linie Transportflüge. Die Passagiere nehmen auf Klappbänken an der Seite des Laderaums Platz, vom Großgepäck trennt sie nur ein starkes Netz, das der Länge nach in der Mitte gespannt ist. Geflogen wird alles, was ins Flugzeug passt: Lebensmittel und Motorräder, Leitungsrohre und Klimaanlagen, Baumaterial und Reifen. An diesem Tag nicht mit an Bord: Tiere, Hühner beispielsweise. Oder Kühe – eine ebenso schwere wie gefährliche Ladung, die nicht erst einmal einen Flieger in unangenehme Schieflage und – wie 1981 – auch zum Absturz gebracht hat, weil sich die Tiere aus ihren Verschlägen befreien konnten. Ebenfalls nicht ungefährlich: Treibstofftransporte, die für gewöhnlich ohne Passagiere und mit offener Türe geflogen werden, damit die explosiven Dämpfe entweichen können.
Unser Flug nach Mitú, nicht weit von der Grenze zu Brasilien entfernt, verläuft ohne Probleme – ruhiges Wetter, gute Sicht. Wir fliegen in geringer Höhe, mit geringer Geschwindigkeit von rund 200 km/h. Unter uns breitet sich ein dicht geknüpfter, endlos grüner Teppich aus – der kolumbianische Regenwald, eine der artenreichsten Landschaften dieses Planeten: Hier blühen tausende Orchideenarten, hier sind Puma und Jaguar unterwegs. Und hier wird – von oben ebenfalls gut sichtbar – Koka angebaut.
Man verirrt und verliert sich leicht in dieser Gegend. Auch mit dem Flugzeug, vor allem in früheren Jahren. Bis weit in die 1990er-Jahre hatten die Piloten keine anderen Hilfsmittel als Uhr und Kompass im Cockpit. Mittlerweile gehören GPS, Wetterradar und Transponder zur Standardausstattung jeder DC-3. Das hat – neben dem besseren Service und den schärferen Kontrollen – wesentlich dazu beigetragen, dass es in den letzten Jahren weniger Unfälle, weniger Todesopfer gab.
Mitú hat inzwischen eine asphaltierte Piste, nach wie vor eine Ausnahme. Die Hauptstadt der Region Vaupés war lange eine Hochburg der FARC, entsprechend groß ist das Aufkommen vonMilitär und Polizei. Auf rund 7.000 Einwohner kommen gut 500 Sicherheitskräfte. Viel sei in diesen Wochen und Monaten aber nicht zu tun, erzählt uns ein Polizist, der zum Dienstantritt nach Mitú fliegt. „Vor zehn Jahren gab es in dieser Gegend viele Entführungen. Seit der stärkeren Präsenz des Militärs ist die Lage ziemlich ruhig, fast langweilig“, sagt er. Die FARC verhält sich relativ still, ein Teil der Koka-Produktion hat sich an die Pazifikküste Kolumbiens verlagert.
Während des Flugs ist Pilot Raúl Lozano kaum ansprechbar. Er ist hoch konzentriert, lässt den Himmel keine Minute unbeobachtet, selbst wenn er das Steuer seinem Kopiloten übergibt. Er sei eher zufällig Pilot geworden, erzählt er, während wir im Schatten der Tragflächen das Ausund Beladen der DC-3 beobachten. „Mein Bruder war Pilot bei der Armee, und ich wusste nach der Schule nicht recht, was ich tun sollte.“ Also wurde er Pilot, genauer gesagt DC-3-Pilot. Dazu brauchte es nach der Pilotenschule noch eine einmonatige Zusatzausbildung. Seit 34 Jahren fliegt er nun DC-3, gut 13.000 Stunden war er in der Luft. Ein harter Job in jeder Hinsicht: „Von den fünf Piloten, die für die Aliansa fliegen, bin ich der einzige mit einem fixen Vertrag.“ Alle anderen arbeiten als Freelancer, die sich um jeden einzelnen Flug bemühen müssen. Pro Flugstunde gibt es rund 50 Euro.

Zeit ist Geld. Die Aufenthalte in den Dörfern werden daher möglichst kurz gehalten. Zeit also, weiterzufliegen, nach Carurú, einer Siedlung mit 700 vorwiegend indigenen Einwohnern, eine halbe Flugstunde entfernt. Nach dem Start bauen sich mächtige Wolken vor uns auf. Ob er vorbeifliegen soll, deutet der Kopilot mit fragendem Blick nach rechts. Mittendurch, zeigt Raúl mit beiden Händen geradeaus nach vorn und übernimmt das Steuer. Die Wolken sehen nicht besonders bedrohlich aus, am Wetterradar ist der Korridor durch die Gefahrenzone schön zu sehen. „Man muss intuitiv fliegen“, sagt Raúl. „Man muss den Wind noch vor dem Flugzeug spüren. Und man muss schnell entscheiden, schnell reagieren.“
In weitem Bogen über den Fluss Vaupés nähern wir uns Carurú. Links und rechts der sandigen Landebahn sind Wellblechhütten aufgereiht, die Bewohner warten vor ihren Häusern auf das Flugzeug, das ein-, zweimal die Woche vorbeikommt. Mit über 1.000 Meter Länge ermöglicht die Piste trotz des unbefestigten Untergrunds theoretisch eine relativ einfache Landung. Tatsächlich ist sie aber um ein gutes Stück kürzer, „weil am Anfang und am Ende gefährliche Steine auf der Piste liegen“, erklärt Raúl und setzt auf. Erfahrung ist alles. Es rumpelt etwas, die Maschine schaukelt ein wenig und bremst sanft ab.
Es gibt schwierigere Manöver, „in Pacoa zum Beispiel, weil dort die Landebahn mit 650 Metern sehr, sehr kurz ist“. Auch nach Caquetá fliegt Raúl ungern. „Das ist FARC-Land. Gefährlich ist nicht das Landen, gefährlich ist die Guerilla. Die tötet jeden Tag.“
Start und Landung sind die kritischen Momente, die kurzen Pisten lassen einfach keine Reserven. „Wenn ich beim Starten nicht die nötige Geschwindigkeit erreiche, kann ich nichts mehr tun.“ Und während des Landens gibt es ebensowenig Spielraum. „Man muss konzentriert sein, darf sich nicht ablenken lassen von den hübschen Mädchen an der Landebahn.“ Kinder laufen der ausrollenden Maschine entgegen. Hier gibt es keinen Tower, kein Flughafengebäude, keine Absperrungen, hier gibt es nur die offene Piste.
Mit an Bord ist auch Jaqueline Valencia, die in Carurú lebt und als Vertreterin des Bezirks Vaupés für den Kongress in Bogotá kandidiert. „Wenn man hier lebt, glaubt man, das ist das ganze Leben“, sagt sie. Viele würden nie aus ihren Dörfern herauskommen. Der Fluss ist gefährlich, die Flugtickets sind teuer, zu teuer für viele Bewohner, um sich einen Flug öfter als vielleicht ein-, zweimal im Leben leisten zu können (unser Flug kostete knapp 200 Euro, wobei die Flugpreise kaum weniger variabel als die Flugpläne sind). „Mit dem Boot von Carurú nach Mitú dauert es zwei Tage, mit dem Flugzeug nur eine halbe Stunde.“ Jaqueline möchte einen regulären Schiffsverkehr einrichten, um ihr Dorf besser an Mitú anzubinden, wo es höhere Schulen und eine medizinische Grundversorgung gibt. „Wenn du in Carurú gesundheitliche Probleme hast, stirbst du“, weiß die 32-jährige Mutter zweier Kinder.
Man muss die DC-3 intuitiv fliegen und den Wind noch vor dem Flugzeug spüren. Und man muss konzentriert sein und sich nicht ablenken lassen von den hübschen Mädchen an der Landebahn.
Raúl Lozano, Pilot der Aliansa Airline
Die Indigenen leben vom Fischfang, von der Landwirtschaft, es werden exotische Früchte wie Ananas, Borojo und Arazá angebaut. „Der Koka-Anbau ist zurückgegangen“, meint die zukünftige Politikerin, „um 80 Prozent.“ Zu genau sollte man solche Zahlen aber nicht überprüfen, der Drogenhandel ist flexibel.
Relativ neu am Zettel illegaler Schattenwirtschaft: Coltan, ein seltenes, wertvolles Metall, das in der Mikroelektronik gebraucht wird. Weil die Vorkommen in indigenen Schutzgebieten liegen, ist der Abbau gesetzlich verboten. „Mit Coltan im Flugzeug erwischt zu werden ist schlimmer, als Koka an Bord zu haben“, sagt Kapitän Raúl. Ohne Zweifel war und ist der Flugverkehr in den Regenwald der Katalysator für seine Ausbeutung und Zerstörung, für das Verschwinden ursprünglicher indigener Kultur. Die gibt es nur noch vereinzelt, weit entfernt von Flüssen und Landepisten. Das ewige Dilemma des Fortschritts, der Zivilisation. Ebenso klar ist aber: Wenn es darauf ankommt, ist die DC-3 die einzige Überlebenschance, die die Bewohner der Dörfer im Dschungel haben.
Ein Schwerverletzter mit gebrochenem Arm und Kopfverletzung wird zum Flugzeug getragen, er soll nach Villavicencio ins Spital gebracht werden. „Wir dürfen nicht zu hoch fliegen, um den Druck im Kopf nicht zu groß werden zu lassen“, meint der auch mit Krankentransporten erfahrene Kapitän, nachdem der Patient notdürftig auf einer Bahre im Laderaum fixiert worden ist.
Auf dem Rückflug beginnt es leicht zu regnen. Aber das ist kein Problem, erklärt Raúl. „Nur Gewitter könnten gefährlich werden.“ Und grundsätzlich gilt ohnehin: „Man darf nicht an die Gefahr denken, man muss an den Flug denken, man muss der Maschine vertrauen.“

Die DC-3 werden weniger, auch in Villavicencio. DC-3 fliegen auch in anderen Erdteilen– in Kanada, in Alaska oder in Afrika. Aber nirgendwo sind so viele Flieger dieses Typs regelmäßig im Einsatz wie hier. Ende der 1960er-, Anfang der 1970er-Jahre kam die zivile Luftfahrt in den Regenwald. Zu dieser Zeit wurden viele Maschinen vom Militär und von den großen Fluglinien ausgemustert und auf den Flughafen Vanguardia umstationiert. „In den 1990er-Jahren hatten wir noch gut 25 DC-3“, schätzt Hernando Balcázar, Sicherheitschef des Flughafens. „Als ich 2001 zu arbeiten begann, waren es 18. Heute sind bestenfalls zehn Maschinen in der Luft, verteilt auf vier kleine Fluglinien.“ Manche Flugzeuge sind abgestürzt, manche in der Unübersichtlichkeit des Drogenhandels verschwunden, manche werden als Ersatzteilspender verwendet. Und manche warten darauf, irgendwann wieder abzuheben, wenn ihre Besitzer das notwendige Geld aufgetrieben haben werden, um sie in Schwung zu bringen.
Die Regierung unternimmt immer wieder Anläufe, um die alten DC-3 endgültig aus dem Verkehr zu ziehen. Raúl Lozano will daran aber nicht glauben: „Diese Maschinen“, ist er überzeugt, „fliegen noch in 20 Jahren.“
Diese Geschichte erschien erstmals im Terra Mater Magazin 6/2014.

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