Fusionsreaktor: Die Energie der zweiten Sonne

Friedlich fließt die Durance an diesem Morgen durch das weite Tal in der Provence. In der Vergangenheit war sie oft über die Ufer getreten, wurde dafür als Geißel verflucht. Nun breitet sich hier Hoffnung aus: im Forschungszentrum Cadarache nahe der kleinen Ortschaft Saint-Paul-lès-Durance und in Gestalt eines dunkelgrauen Gebäudeklotzes, groß wie ein Flugzeughangar. „We have delivered“ – wir haben geliefert – ist davor auf einem riesigen Transparent zu lesen. Im Inneren der Halle sind kurz zuvor drei gewaltige Stahlkonstrukte aus Korea eingetroffen, die an futuristische Ohrmuscheln erinnern. Zwei von ihnen hängen an enormen Kränen, eines liegt aufgebockt auf massiven Sockeln. Die Ohrmuscheln sind die ersten von insgesamt neun Segmenten, aus denen das Kernstück des International Thermonuclear Experimental Reactor, kurz ITER, entstehen wird: eine Vakuumkammer.
In seiner Kühnheit ist das Projekt mit der Mondlandung vergleichbar.

Das Feuer der Sonne
Darin wollen Wissenschaftler und Ingenieure in ein paar Jahren jenes Feuer zünden, das in der Sonne – und in anderen Sternen – seit Milliarden Jahren brennt: das Plasmafeuer der Kernfusion. Es scheint, als kehre der mythische Prometheus in die Provence zurück, um die Menschheit noch einmal aus ihrer Rückständigkeit zu holen. Die Kernfusion könnte als saubere Energiequelle die erneuerbaren Energien ergänzen. Das Projekt sei „ein Vermächtnis, das wir mit Stolz unseren Kindern hinterlassen werden“, sagt denn auch Bernard Bigot, Direktor der ITEROrganisation. Tatsächlich ist ITER ein Menschheits- und Generationenprojekt: 30.000 schlaue Köpfe arbeiten weltweit daran, rund eine Million Teile zu fertigen, von der kleinsten Schraube bis zum 1.250 Tonnen schweren Boden der Reaktorkammer. Allein 2.000 Spezialisten rücken auf dem ITER-Gelände die riesigen Stahlteile in Position, schweißen, testen.

Die Kosten wurden auf 17 Milliarden Euro veranschlagt – diese Schätzung ist aber auch schon wieder sechs Jahre alt. In seiner Kühnheit ist das Projekt mit der Mondlandung vergleichbar. So wie das Apollo- Programm der NASA ein Kind des Kalten Krieges war, entstand auch die Fusionsforschung aus dem nuklearen Wettrüsten der Großmächte.
Kind des Kalten Krieges
Damals arbeiteten US-amerikanische und sowjetische Physiker an der Wasserstoffbombe: Sie sollte das Prinzip der Kernfusion für eine Vernichtungswaffe nutzen und die Zerstörungskraft der bisherigen Atombomben um ein Vielfaches übertreffen. Ganz zu Beginn aber hatten Experten überlegt, wie sie die Kernfusion für friedliche Energiegewinnung zähmen könnten. 1920 vermutete der britische Astronom Arthur Eddington, der Energieausstoß unserer Sonne und aller anderen Sterne resultiere aus der Verschmelzung von Wasserstoffatomen zu Helium. 1939 legte der deutsche Physiker Hans Bethe erste mathematische Berechnungen vor, wie diese Kernfusion abläuft.
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