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Immer satt sein: Die älteste Gendatenbank der Welt

In St. Petersburg träumte ein Botaniker vor hundert Jahren von einer Welt ohne Hunger. Er revolutionierte die Pflanzenzucht und machte sich Stalin zum Feind. Sein Institut, die älteste Genbank der Welt, trotzt allen Widrigkeiten, bis heute.
Text: Clemens Stachel, Fotos: Elena Chernyshova / 9 Min. Lesezeit
Wawilow Institut Gendatenbank St. Petersburg Foto: Elena Chernyshova
Wawilow-Institut in St. Petersburg: Die Gendatenbank ist die älteste der Welt.
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Dienstag, 6. August 1940, Czernowitz in der Bukowina. Nikolai Wawilow, Pflanzenforscher aus Leningrad, kommt nach einem langen Arbeitstag am Feld in den Gasthof, wo er und seine Kollegen untergebracht sind. Eine schwarze Limousine wartet schon auf ihn. Vier Männer in Anzügen steigen aus, reden kurz auf ihn ein. Wawilow drückt einem Botanikerkollegen noch seinen Rucksack in die Hand und steigt dann zu den Geheimpolizisten ins Auto. Ziel ihrer Fahrt: das Innenministerium in Moskau. Wawilow hatte schon mit seiner Festnahme gerechnet. Der politische Druck auf ihn und sein Forschungsinstitut war von Jahr zu Jahr bedrohlicher geworden.

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Wawilow Institut Gendatenbank St. Petersburg Foto: Elena Chernyshova
Die Direktorin des Wawilow-Instituts Elena Chlestkina mit ihrem Schirmherrn Nikolai Wawilow.

Alles, was wir in Spitzbergen tun, alles, was andere Genbanken in aller Welt tun, geht auf Nikolai Wawilow zurück. Die Rettung der Biodiversität hat vor hundert Jahren in St. Petersburg begonnen.

Cary Fowler, Agronom und Initiator des 2008 eröffneten Global Seed Vault auf Spitzbergen

Dass aber die schrecklichsten Zeiten – für ihn und das Institut – noch bevorstanden, ahnte an diesem Sommerabend niemand.

„Wir können heute gar nicht ermessen, wieviel wir Wawilow verdanken“, sagt der US-Amerikaner Cary Fowler, Agronom und Initiator des 2008 eröffneten Global Seed Vault auf Spitzbergen, des größten Speichers für Kulturpflanzensamen der Welt. „Alles, was wir in Spitzbergen tun, alles, was andere Genbanken in aller Welt tun, geht auf Nikolai Wawilow zurück. Die Rettung der Biodiversität hat vor hundert Jahren in St.Petersburg begonnen.“

Was Fowler damit meint, versteht man erst, wenn man nach St. Petersburg gereist ist und tagelang Augen und Ohren offengehalten hat an der einstigen Wirkungsstätte des großen Botanikers und Genetikers Nikolai Wawilow. Als Direktor des „Allunionsinstituts für Angewandte Botanik“ baute er in den 1920er-und 1930er-Jahren die weltgrößte Sammlung von Kulturpflanzenvielfalt auf. Er war einer der einflussreichsten Naturwissenschaftler seiner Zeit, Fowler nennt ihn gar den „Begründer der modernen Pflanzenforschung“. Doch sein Bekanntheitsgrad– speziell in Westeuropa – leidet bis heute unter der bewussten Auslöschung seines Ruhms und seines Lebens durch den stalinistischen Terror. Dass das Institut samt seiner gigantischen Samenkollektion noch heute besteht – unter dem Namen N.-I.-Wawilow-Institut für pflanzengenetische Ressourcen –, verdankt es ausschließlich dem entbehrungsreichen Einsatz seiner Mitarbeiter, von den 1930er-Jahren bis heute.

Wawilow Institut Gendatenbank St. Petersburg Foto: Elena Chernyshova
Säckchen für Säckchen: Hier befüllt eine Mit­arbeiterin der Abteilung für Gerste ein frisches Samenpäckchen.

Der Plan des Mendelianers

Der Besucher des Wawilow-Instituts spürt sofort den besonderen Geist, der hier herrscht. Eine charmante Mischung aus Ernsthaftigkeit, Herzlichkeit und Bescheidenheit eint die Belegschaft, von der quirligen Bibliothekarin bis zur jungen Direktorin. Elena Chlestkina, eine Getreideexpertin, wurde erst im Sommer 2018 an die Spitze des Instituts berufen – als erste Frau in dessen 125-jähriger Geschichte. Den Genius loci erklärt sie so: „Ich glaube, er kommt daher, dass wir alle noch immer in denselben Räumen und an denselben Dingen arbeiten wie Wawilow. Wir begegnen ihm sozusagen auf Schritt und Tritt. Unsere größten Schätze sind natürlich die Samen- und die Herbarsammlung, die er uns hinterlassen hat. Doch mindestens so wertvoll sind die Menschen, die hier arbeiten: Sie sind Spezialistinnen und Spezialisten mit enormer Erfahrung und unbezahlbarem Wissen.“

Nikolai Iwanowitsch Wawilow, geboren 1887 in Moskau, war seit seiner Studienzeit ein glühender Mendelianer: Er glaubte, dass im Innersten jedes Samenkorns die gesamte Information stecken musste, die den Wuchs einer Pflanze bestimmte. Und dass die Pflanze diese Information – oder einen Teil davon – an ihre Nachkommen weitergab. Zu einer Zeit, als die Gene als Träger der Erbinformation noch lange nicht im Zellkern lokalisiert waren, geschweige denn ihre Funktionsweise geklärt, stießen derartige Thesen auf so manchen Widerspruch in der Biologenszene. Wawilow aber blieb unbeirrbar: Eine gründliche Erforschung der Pflanzengenetik, so ahnte er, könnte enorm positive Auswirkungen auf das Leben aller Menschen haben.

Rundum sah Wawilow eine zerstörte Welt voller Entbehrungen: Für große Teile der sowjetischen Bevölkerung war der Hunger nach dem Ersten Weltkrieg und dem folgenden Bürgerkrieg ein täglicher Begleiter. Im Landesinneren, an der Wolga und am Ural, waren Anfang der1920er-Jahre Millionen Menschen in Hungersnöten zugrunde gegangen. Die Landwirtschaft war in vielen Regionen zusammengebrochen, Saatgut vielerorts gar nicht mehr vorhanden.

In allem steckt die Seele Nikolai Wawilows

Wawilow war kein Kommunist, doch als Humanist fühlte er sich verpflichtet, dem neuen sowjetischen Staat beim Aufbau einer ertragssicheren Landwirtschaft zu helfen. Der Schlüssel dazu sollte eine wissenschaftlich fundierte Pflanzenzucht sein, die sich an den neuesten genetischen Erkenntnissen orientierte. Neue, bessere Nutzpflanzen sollten eines Tages Hungersnöte in Russland unmöglich machen. Lenin, der neue starke Mann im Land, vertraute Wawilow und machte ihn zum politisch einflussreichsten Agrarwissenschaftler der jungen Sowjetunion.

Nachdem die russischen Regierungsbehörden von der Zarenresidenz St.Petersburg nach Moskau verlegt worden waren, bezog Wawilows Institut Anfang der 1920er-Jahre das ehemalige Landwirtschaftsministerium. In den beiden spiegelgleichen herrschaftlichen Gebäuden am zentralen Isaaksplatz bekam Wawilows großer Plan endlich den Raum, den er brauchte: Von den wichtigen Kulturpflanzenarten sollten alle nur erdenklichen Sorten und verwandten Wildformen gesammelt werden, die man weltweit finden konnte.

In den Samenkörnern sah er die perfekten Speichereinheiten, man müsste sie nur sorgfältig lagern. Es waren die Unterschiede, die er suchte: Welche Sorte garantierte hohen Ertrag? Welche war besonders frostbeständig? Welche erwies sich als widerstandsfähig gegen Pilzbefall? Die Varianten mit den besten Eigenschaften sollten dann systematisch zu Hochleistungssortengekreuzt werden.

Bis zum Ende der 1930er-Jahre wuchs Wawilows Genbank auf 250.000 Belege an, dank hunderter Sammelexpeditionen auf der ganzen Welt. Gemeinsam mit seinen Kolleginnen und Kollegen brachte Wawilow Millionen Samenkörner sowie zigtausende getrocknete Pflanzen nach St.Petersburg, um sie dort wissenschaftlich zu beschreiben, einzuordnen und im Züchtungsprogramm einzusetzen.

Alle Samen, die hier in den Regalen lagern, werden regelmäßig ausgesät und vermehrt, die neuen Samen dann wieder eingeordnet.

Elena Chlestkina, eine Getreideexpertin und Direktorin des Wawilow-Instituts
Wawilow Institut Gendatenbank St. Petersburg Foto: Elena Chernyshova
Tiefgekühltes Obst. In der Kryo-Abteilung des Wawilow-Instituts betreut Wladimir Wertschuk Experimente mit Triebstücken von Wein und Obstbäumen: Welche Sorten sind am widerstandsfähigsten gegen große Kälte?

Wawilow entwickelte auf seinen Reisen die bis heute gültige Theorie der „Ursprungszentren“: Er erkannte, dass sich fast alle landwirtschaftlich genutzten Pflanzenarten in bestimmten, recht eng begrenzten Regionen der Welt entwickelt haben – und zwar dort, wo die Diversität ihrer wilden Vorfahren besonders hoch war und bis heute ist. So entstand der Weizen durch Kultivierung im Nahen Osten, die Kartoffel in Peru, der Reis in Südchina. Größere Vielfalt erlaubte eine schnellere – zumal vom Menschen gesteuerte – Evolution.

Die Sammlung lebt

Heute umfasst die Sammlung etwa 330.000 Sorten aus 2.200 Pflanzenarten und gehört damit noch immer zu den fünf größten Pflanzengenbanken der Welt. Zehn Abteilungen und rund 300 Mitarbeiter kümmern sich um verschiedene für die Landwirtschaft wichtige Zweige des botanischen Stammbaums: In der Abteilung der Weizenverwandten etwa türmen sich rund 50.000 Sorten, in der Kartoffel-Abteilung über 8.000. Elf Forschungsstationen mit Versuchsfeldern und Vemehrungsgärten sowie weiteren 400 Mitarbeitern bilden ein über ganz Russland und seine unterschiedlichen Klimazonen gespanntes Netzwerk.

Die Samen lagern sowohl in modernen Kühlräumen im Keller des Instituts bei Temperaturen zwischen minus zehn und plus vier Grad Celsius als auch in für die Forscher leicht zugänglichen Regalen in den einzelnen Abteilungen selbst – bei Raumtemperatur. Die Fachleute hier nennen das gesammelte Material „Keimplasma“, denn es müssen nicht immer Samenkörner sein: Von vielen Pflanzen, etwa von Obstbäumen, werden auch Stängel oder Triebstücke zur vegetativen Vermehrung aufgehoben oder bei Tiefsttemperaturen eingefroren. Andere Arten werden als Keimlinge in Reagenzgläsern kühl gestellt, wieder andere – etwa Zwiebeln – bilden so kurzlebiges Saatgut aus, dass sie ohnehin Jahr für Jahr im Glashaus oder auf dem Feld vermehrt werden müssen.

Direktorin Chlestkina: „Wir befinden uns in einem historischen Bauwerk, doch wir sind kein Museum. Wir sind eine moderne, lebendige Genbank: Alle Samen, die hier in den Regalen lagern, werden regelmäßig ausgesät und vermehrt, die neuen Samen dann wieder eingeordnet.“ In einem organisatorischen Zeitlupenspektakel werden jedes Jahr tausende Samenpäckchen aufgefrischt, zumindest die wichtigsten Sorten sollen etwa alle fünf Jahre runderneuert der Forschung zur Verfügung stehen.

Zwischen den tausenden Schachteln, Kuverts und Schubladen, all den vollgeräumten Tischen und Schränken, zwischen den wandhohen Regalen und in verblüffend persönlich eingerichteten Büroräumen spürt man schnell, was es bedeutet, wenn die Arbeit nie endet. In welchem Raum des Instituts man sich auch befindet, irgendwo knarzt immer eine Leiter, klappert eine Metallbox, raschelt ein Samenpäckchen.

Wawilow Institut Gendatenbank St. Petersburg Foto: Elena Chernyshova
Tamara Smekalowa beim Blättern: Sie ist die Leiterin des Herbariums im Wawilow-Institut.

Bei allem Respekt vor der „analogen“ Speicherarbeit verschließt sich das Wawilow-Institut nicht der Molekulargenetik des 21. Jahrhunderts: Bereits vor einigen Jahren wurde eine biotechnologische Abteilung eingerichtet. Direktorin Chlestkina begrüßt die neuen Technologien, sie sind nicht zuletzt auch ein spürbarer Antreiber der internationalen Zusammenarbeit. Jeden Tag kommen Anfragen aus aller Welt: „Mittlerweile gibt es überall auf der Welt leistungssstarke DNA-Sequenziermaschinen, und bei uns findet man eben Material für Untersuchungen, das es sonst nirgendwo gibt.“

Gleichzeitig warnt Chlestkina vor blinder Technikgläubigkeit. „Die entscheidenden Erkenntnisse sind oft nur in enger Kollaboration mit unseren langjährigen Mitarbeitern möglich. Sie kennen ihre Sorten wie ihr Kinder, sie haben das Hintergrundwissen und die Querverweise im Kopf, ohne die jede DNA-Untersuchung aussagelos bliebe.“

Obwohl ausgebildeter Botaniker, verkörpert Igor Loskutow mit gutem Recht die Rolle des Historikers im Wawilow-Institut. Seit den 1990er-Jahren hat er über Nikolai Wawilows Leben recherchiert wie kein Zweiter. Wenn er über den großen Forscher spricht, ist ihm die Bewunderung genauso anzumerken wie die zornige Trauer über dessen Schicksal – seine Verhaftung 1940, der Prozess im Jahr darauf, seine Haft und sein Hungertod in der Zelle im Jänner 1943.

Während sie langsam verhungerten, einer nach dem anderen, verwehrten sie es sich, auch nur ein Päckchen Getreide zu essen. Sie wussten, dass an dieser Sammlung die Zukunft der russischen Landwirtschaft hing. Sie war ihnen teurer als ihr eigenes Leben.

Elena Chlestkina, eine Getreideexpertin und Direktorin des Wawilow-Instituts

Während Direktor Wawilow in im Gefängnis von Saratow dafür büßte, ein Wissenschaftler zu sein, ging rund um sein Institut in Leningrad die Welt unter. Im Juni 1941 hatte die deutsche Wehrmacht die Sowjetunion überfallen, im September war die Stadt nach allen Seiten vom Rest des Landes abgeriegelt. Das Ziel der deutschen Truppen: die Vernichtung Leningrads und seiner Bevölkerung. Nach zwei Monaten begann das Massensterben: Mehr als eine Million der rund 2,5 Millionen Einwohner Leningrads verhungerten.

Der Großteil der Mitarbeiter des Instituts am Isaaksplatz wurde zum Kriegsdienst eingezogen. Die wenigen verbliebenen Mitarbeiter versuchten, während der Wintermonate 1941/42 die Sammlung per Eisenbahn zu evakuieren, was aber nicht mehr gelang. Also wurden Türen und Fenster mit Holzlatten verbarrikadiert und eine Überwachung rund um die Uhr organisiert. „Bei Temperaturen von unter minus 30 Grad, ohne Heizung und Licht saßen die Wissenschaftler inmitten von Tonnen von Weizen, Reis und Mais“, schildert Igor Loskutow die schier unfassbare Situation.

Zwölf von ihnen starben im ersten Belagerungswinter im Institut. „Während sie langsam verhungerten, einer nach dem anderen, verwehrten sie es sich, auch nur ein Päckchen Getreide zu essen. Sie wussten, dass an dieser Sammlung die Zukunft der russischen Landwirtschaft hing. Sie war ihnen teurer als ihr eigenes Leben.“

Wawilow Institut Gendatenbank St. Petersburg Foto: Elena Chernyshova
Volle Konzentration. Das Dröhnen des St. Petersburger Straßenverkehrs begleitet eine Mitarbeiterin bei ihrer täglichen Arbeit – dem Auseinandersortieren guter und schlechter Samenkörner.

In einigen Büros und an manchen Gangwänden des Instituts hängen heute Porträts der Helden von damals. Keine Heldenkränze, sondern kleine Passfotos. So wie eben in allen Büros dieser Welt Fotos von Freunden oder Familienmitgliedern an der Pinnwand hängen – bloß sind die Wertigkeiten im Wawilow-Institut etwas verschoben. Das Leid der Kolleginnen und Kollegen wird nicht vergessen. Die Last der Geschichte drückt noch immer schwer.

Verluste und neue Chancen

Es ist der Kampf um die Erhaltung der genetischen Vielfalt, der die Generationen der Mitarbeiter verbindet. „Die meisten Kultursorten verschwinden nicht unbedingt durch Kriege und physische Zerstörung, sondern indem sie verdrängt und vergessen werden.“ Das sagt Tamara Smekalowa, die Hüterin des Herbariums. Hier lagern 380.000 getrocknete Pflanzen, jede einzelne kunstvoll auf große Papierbögen geheftet, manche von ihnen so alt wie das Institut selbst. „Das war auch schon zu Wawilows Zeiten so. Aber die Geschwindigkeit, mit der wir zurzeit an Biodiversität verlieren, ist mir unheimlich. Wenn ich heute an die Orte reise, an denen ich vor 30 Jahren das erste Mal gesammelt habe, dann finde ich 90 Prozent der Sorten von damals nicht mehr.“

Kürzlich war Smekalowa in Aserbaidschan: „Ich habe einem Kollegen versprochen, ihm eine seltene Wildform von Hafer mitzubringen, über die er gerade einen Aufsatz schrieb. Ich kannte den einzigen Ort, wo sie zu finden war. Als ich dort ankam, war das ganze Feld zubetoniert. Eine große Siedlung mit Einfamilienhäusern. Von Hafer keine Spur. Jetzt gibt es diesen Typ nur noch bei uns.“

Die Zeiten waren schon schlimmer am Wawilow-Institut, doch auch heute sind sie alles andere als rosig: Das Geld fehlt an allen Ecken und Enden. Noch immer lebt die tägliche Forschungsarbeit zu einem Gutteil vom selbstlosen Einsatz der Mitarbeiter. Hochqualifizierte Akademiker, die zu den führenden Spezialisten ihres Feldes zählen, verdienen hier nicht annähernd die Gehälter ihrer Kollegen in Westeuropa. Aber die Hoffnung lebt, gibt Vizedirektor Alexej Sawarsin optimistische Signale: „Wir haben im Jahr 2015 zusätzlich zu unserer jährlichen Förderung einen einmaligen Zuschuss von 150 Millionen Rubel (umgerechnet zwei Millionen Euro) vom Staat bekommen. Das ist für uns viel Geld, wenn auch nicht genug, um unsere Sammlung so zu erhalten, wie wir uns das vorstellen. Dazu bräuchten wir etwa 700 Millionen Rubel.“

Wawilow Institut Gendatenbank St. Petersburg Foto: Elena Chernyshova
Was gutes Korn ausmacht: Nicht nur die Kornzahl der einzelnen Ähre zählt, auch die Widerstandskraft der Pflanze gegen Trockenheit und Krankheiten.

Der Fortbestand des Instituts ist nicht gefährdet, sagt Alexei Sawarsin; die Frage ist vielmehr, wie es seinem hohen Anspruch als Forschungsinstitution auch in Zukunft gerecht werden kann. Direktorin Chlestkina sucht offensiv nach Geldquellen: „Die Herausforderung besteht darin, an der internationalen Spitze mitzumischen. Die heutige Genomforschung ist sehr teuer, und wir müssen internationale Kollaborationen suchen, um an weitere Forschungsförderungen heranzukommen.“ Die Welt kann es sich wohl kaum leisten, auf die Ressourcen und das Wissen dieses Hauses zu verzichten. Immerhin ist Nikolai Wawilows Hauptanliegen zur zentralen Frage des 21. Jahrhunderts aufgestiegen: Wie können Botaniker und Genetiker dazu beitragen, dass in Zukunft alle Menschen satt werden?

„Der Klimawandel erschwert die Arbeit von Pflanzenzüchtern enorm“, erklärt Institutsdirektorin Elena Chlestkina. „Es gibt heute schon Regionen in der Welt, wo die Bauern alle drei Jahre eine neue Sorte anbauen müssen, weil sich das Klima so schnell verändert. Und das wird in den nächsten Jahren noch schlimmer werden. Unsere riesige Sammlung von wilden Verwandten der Kulturarten kann da der entscheidende Schlüssel sein. Da liegen tausende Gene verborgen, die im Lauf der Nutzpflanzen-Domestikation verlorengegangen sind, die man aber relativ leicht wieder einkreuzen könnte. Das ist eine große Chance für die Pflanzenzucht. Wir alle können Nikolai Wawilow dankbar sein. Er hat schon vor hundert Jahren an unsere Zukunft gedacht.“

Diese Geschichte erschien erstmals im Terra Mater Magazin 3/ 2019.

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