Freiheit für die Elefanten

Eine zierliche Frau mit langen blonden Haaren sitzt im Gras und schneidet einem Elefanten die Zehennägel. Für Carol Buckley ist das offensichtlich Routine: Geschickt entfernt die 61-jährige Amerikanerin mit dem Messer Steinchen aus den Sohlen des Tieres, feilt mit einer groben Raspel an den Fußnägeln und schneidet mit einem Schnitzeisen hie und da ein Stückchen Horn oder tote Haut ab. Zusätzlich inspiziert sie die Wunden an den Füßen, sie schimmeln bereits.
Eine Elefantenkuh durfte ihre Ketten ablegen
„Gutes Mädchen“, wiederholt Buckley ständig mit sanfter Stimme, während sie zärtlich über die faltige Haut streichelt. Für Raj Kali, die Elefantenkuh, ist die Behandlung neu: Sie ist erst vor wenigen Tagen ins Tiger Tops Elephant Camp am nordwestlichen Rand des Chitwan-Nationalparks gebracht worden. Liebevolle Zuwendung hatte sie in den 42 Jahren ihres bisherigen Lebens selten erfahren. Raj Kali hat 28 Jahre lang im Nationalpark als Safari-Elefant geschuftet, jeden Tag Touristen auf ihrem Buckel durch das größte Naturschutzgebiet Nepals geschleppt und dabei eine Menge Schläge einstecken müssen, physisch wie psychisch. Nach Dienst kettete man sie ganz eng an einen Baumstumpf.

Die eingeschränkte Bewegungsfreiheit führte auch zu jenem Unfall, der die Elefantendame hierherbrachte: Ein wilder Elefantenbulle in der Musth – einem bei erwachsenen männlichen Tieren einmal im Jahr auftretender Testosteronschub, der sie extrem aggressiv macht – drang in ihren Stall ein und verletzte sie schwer. „Davon hat sich Raj Kali nicht mehr erholt“, erzählt Carol Buckley, „sie geriet fortan bei jedem Tierschrei in Panik, hörte auf zu fressen und zu schlafen.“ Für die Arbeit war sie in diesem Zustand nicht mehr zu gebrauchen. Schließlich brachte sie ihr Mahut – der verantwortliche Pfleger – ins Camp zu Carol Buckley, weil er gehört hatte, dass sie hier an einer Art Erholungsheim für Elefanten arbeite. Jetzt liegt Raj Kali also, alle viere von sich gestreckt, im Staub und bekommt eine Pediküre.
Es hat eine Weile gedauert, bis sie sich daran gewöhnen konnte, was Carol Buckley da mit ihren Füßen anstellt. Und obwohl ihr Mahut mit dem Elefantenhaken, dem traditionellen Dressur- und Züchtigungswerkzeug, direkt über ihrem Kopf wacht, kann er nicht verhindern, dass sie hin und wieder nach ihrer Fußpflegerin tritt.
Hör auf, mich zu treten, Mädchen!
Carol Buckley
Plötzlich springt Carol Buckley auf. „Hör auf, mich zu treten, Mädchen!“, ruft sie streng und hebt den Zeigefinger. Dann nähert sie sich langsam dem Kopf der Elefantenkuh, legt sachte eine Hand auf den Rüssel und flüstert: „Gutes Mädchen, darf ich weitermachen?“ Wie zur Zustimmung kneift Raj Kali die Augen zusammen. Und zur Verwunderung der Pfleger schläft sie schließlich ein und schnarcht leise vor sich hin. Das Elephant Camp der Tiger Tops Lodge ist Carol Buckleys jüngstes Projekt.
In der ältesten Lodge Nepals soll eine neue Form des Tiertourismus entstehen. Ein Dutzend ehemaliger Arbeitselefanten bekommt hier die Freiheit zurück – zumindest teilweise. „Ein Kompromiss“, erklärt Buckley, „denn es ist ein Leben in geführter Freiheit.“ Innerhalb eines von Elektrozäunen abgegrenzten Gebiets, etwa fünf Fußballfelder groß, können sich die Tiere künftig frei bewegen. Als Herde, ohne Ketten an den Beinen, umgeben von Bäumen, Büschen, Sand und jeder Menge saftig grünem Futter. Verglichen mit ihren bisherigen Lebensumständen: ein Paradies. Geld von Touristen sollen die Elefanten jedoch auch weiterhin einbringen, schließlich kostet ihr Unterhalt nicht wenig. Aber anders als bis jetzt „sollen in Zukunft die Touristen die Elefanten unterhalten, nicht umgekehrt“, erklärt Kristjan Edwards, Eigentümer und Betreiber der Tiger Tops Lodge in zweiter Generation, das neue Konzept. „Es geht darum, die Tiere kennen und verstehen zu lernen und ihr Leben zu verbessern.“ Statt der bisher üblichen Reitsafaris sollen „Spaziergänge neben den Elefanten“ angeboten werden.
Und warum der Sinneswandel? „Ich konnte den Anblick meiner Elefanten nicht mehr ertragen“, meint Kristjan Edwards, „wie sie da in Ketten vor mir standen und mit dem Kopf verstört hin und her wackelten. Ich fühlte mich unbehaglich. Und es war an der Zeit, das Richtige zu tun.“
Seit mehr als 40 Jahren eine Berufung
Natürlich braucht so eine Umstellung Expertise, denn der Umgang mit jahrelang geschundenen Elefanten ist nicht ganz einfach. Und auch nicht ungefährlich – jährlich fallen weltweit an die 500 Menschen Elefantenattacken zum Opfer. Edwards engagierte die Beste, die er finden konnte: Carol Buckley hat sich ihren Ruf als Elefantenexpertin redlich erarbeitet. Mehr als 40 Jahre Erfahrung im Umgang mit den grauen Riesen kann sie vorweisen.
Wenn jemand weiß, wie Elefanten denken, dann sie. „Es gibt für mich keinen Grund zur Furcht. Ich spüre und erkenne ihren Gemütszustand und respektiere, wenn sie mich nicht in ihrer Nähe haben wollen“, sagt Buckley. „Wir kommunizieren ohne Worte. Über die Jahre habe ich gelernt, mich in Elefanten hineinzuversetzen. Das sind von Emotionen gesteuerte Kreaturen. Nur wenn man versteht, wie sie sich fühlen, kann man auch vorhersehen, wie sie sich als Nächstes verhalten werden.“ Carol Buckleys Karriere fing mit einem kleinen Elefanten namens Fluffy an. Fluffy war gerade einmal ein Jahr alt und lief an Carols Fenster in Kalifornien vorbei, als die damals 19-jährige Studentin Hausaufgaben machte.

Ihr Studium hieß Exotic Animal Training & Management, und sie hatte auch schon von Fluffy gehört – das Tier war die Attraktion eines lokalen Autoreifenhändlers. „Es gibt keine Zufälle“, sagt sie heute. Jedenfalls kaufte sie Fluffy dem Reifenhändler um 25.000 Dollar ab und gab dem weiblichen Elefantenbaby den etwas würdigeren Namen „Tarra“. Bald schon war Carol das Tier wichtiger als das College; sie brach das Studium ab und wurde zur Expertin ohne akademischen Titel. Sie richtete Tarra zum Zirkuselefanten ab – und zwar so erfolgreich, dass Tarra bald zum Star in Film und Fernsehen wurde.
Der Elefant konnte Rollschuh laufen, Hula-Hoop-Reifen schwingen und Tamburin spielen. Einmal wurde Tarra zur Sensation einer Oscarverleihung in Hollywood, als sie auf der Bühne einen der Awards überreichte. „Wie naiv ich nicht war!“, sagt Buckley rückblickend. „Mein Ego hat meine Handlungen diktiert. Heute weiß ich, dass das für Tarra völlig falsch war.“ Nach 19 Jahren Tingeln durch Zoos und Zirkusse hatte sie schließlich ein Erweckungserlebnis: Tarra erlitt nach beinahe zweijähriger Schwangerschaft eine Fehlgeburt. „Das veränderte alles“, sagt Carol Buckley heute. „Ich wollte fortan, dass Tarra völlig frei ist und nichts mehr von all dem Wahnsinn machen muss. Ich wollte eine Beziehung zu meinem Elefanten, keine Kontrolle über sie, also ließ ich sie über meine Taten entscheiden.“

Auf der Suche nach einem neuen Zuhause klapperten Buckley und Tarra etliche Zoos und Tierparks ab, fanden sich darin aber immer wieder mit Gefangenschaft und menschlicher Dominanz konfrontiert, egal wie umweltfreundlich und einladend die Einrichtungen gestaltet waren. „Was mir vorschwebte, war eine safe zone – ein Schutzgebiet, wo Besucher keinen Zutritt haben und die traumatisierten Tiere tun und lassen können, was sie wollen.
Keine Kontrolle. Keine Kommandos. Kein Stress.
Und vor allem keine Gewalt, weder körperliche noch verbale“, sagt Buckley. 1995 kaufte sie mit den Ersparnissen aus ihren Elefantenshows Land im US-Bundesstaat Tennessee und gründete Hohenwald, das bis heute größte natürliche Habitat für Elefanten in den USA. Tarra konnte dort endlich „in geführter Freiheit“ leben, wie es Buckley nennt.
Ein Elefantenhimmel auf Erden

Im Laufe der nächsten Jahre befreite sie 23 weitere Elefanten aus ihrer Gefangenschaft und erweiterte das Areal bis auf die dreifache Fläche des New Yorker Central Park. „Dort verstand ich erstmals, dass ich kaum etwas über Elefanten wusste. Durch Beobachten und Interagieren lernte ich schließlich den Kern meiner heutigen Fähigkeiten: die Elefanten zu verstehen, wie sie zu fühlen und mich in sie hineinzuversetzen.“ Prinzipiell gibt es zwei Arten, einen Elefanten gefügig zu machen. Die eine arbeitet mit menschlicher Dominanz und Gewalt.
Besonders in Asien hat das „Brechen“ von Elefanten eine lange Tradition: Dabei werden die Tiere in jungen Jahren ihres Selbstbewusstseins beraubt. Man sperrt sie in Käfige oder in enge Erdlöcher und quält sie so lange mit Eisenstangen und Nagelstöcken, bis sie aufgeben und ihren Willen verlieren. In der Folge glauben die Elefanten nicht mehr an ihre Macht: Die Erinnerung an die erlittene Demütigung und die Angst vor erneuten Schmerzen ist so stark, dass eine Andeutung mit dem Elefantenhaken genügt, um Gehorsam zu erzwingen.
Der Elefant kann dann für Safaris oder Waldarbeiten, für Zirkusshows oder zum Polospiel eingesetzt werden. Er wird sich nicht mehr wehren. Diese Methode hat sich seit über 5.000 Jahren „bewährt“. Die andere, von Carol Buckley bevorzugte Möglichkeit ist zweifellos artgerechter, aber auch mit ungleich mehr Mühe verbunden: Im Wesentlichen geht es darum, die Gefühle und Bedürfnisse des Elefanten zu verstehen und eine stabile Beziehung zu dem Tier aufzubauen.
Neue Aufgaben warten in Asien
„Kontrolle ja, aber ohne Gewalt“, lautet Buckleys Leitspruch. Elefanten sollten nicht mehr nur als Werkzeug und Einnahmequelle, sondern als „Freunde in Übergröße“ betrachtet werden, die Respekt und Zuneigung verdienen. Und diese Methode funktioniert auch, schwört Carol Buckley, aber es gibt sie erst seit 20 Jahren. Und in Nepal sind nicht alle davon überzeugt, dass dies tatsächlich eine Alternative ist.
Was Carol Buckley aus den Vereinigten Staaten zu der Mission in Asien verschlagen hat, ist eine traurige Geschichte: 2010 hat sie sich mit ihren Ex-Mitstreitern in Hohenwald dermaßen überworfen, dass die ihren Rauswurf aus ihrem eigenen Lebenswerk gerichtlich erzwangen. Außerdem hat sie dort jetzt Hausverbot – was auch bedeutet, dass sie Tarra seither nicht mehr sehen darf. Um danach wieder Boden unter den Füßen zu bekommen, gründete Buckley die Organisation Elephant Aid International und startete die Kampagne Chain free means pain free. Deren Ziel: Arbeitselefanten in Asien von ihren Ketten zu befreien.
Kontrolle ja, aber ohne Gewalt
Carol Buckley
Nach und nach besuchte Buckley jene Länder, in denen Elefanten für Safaris und andere Arbeiten in Gefangenschaft gehalten werden: Indien, Thailand, Sri Lanka, Vietnam, Indonesien und Nepal. Dort versucht sie, Behörden, die Besitzer der Elefanten und ihre Pfleger davon zu überzeugen, dass Elefanten nach Dienstschluss ein bisschen Freiheit verdient haben. Wenn das gelingt, dann errichtet sie artgerechte Koppeln mit Elektrozäunen rundherum. „Es ist ein Kompromiss“, erklärt Buckley. „In dem Gehege können sie sich zumindest einige Stunden am Tag frei bewegen.
Ihrem bitteren Arbeitsleben können sie sowieso nicht entkommen.“ Anfangs wurden Buckleys Ideen für undurchführbar gehalten, doch „mittlerweile kontaktieren mich staatliche und private Einrichtungen, die Elefanten halten, und bitten mich um Rat und meine Erfahrung“. Insgesamt 105 Dickhäutern in Gefangenschaft hat sie mit ihren Koppeln bereits ein wenig Freiheit geschenkt. Das ist nicht die Welt, aber es ist ein Anfang. Und es ist besser als nichts.
Die Rolle des Mahut

In seiner ursprünglichen Bedeutung gilt der Mahut als menschlicher Vater des gezähmten Elefanten. Sie sind einander verbunden, bis einer der beiden stirbt. Der Mahut zieht seinen Elefanten groß, pflegt, hegt und beschützt ihn wie sein eigenes Kind. Dafür schenkt ihm der Elefant seine Arbeitskraft. Mahut war nicht nur ein Beruf, sondern auch eine Verpflichtung, die von Generation zu Generation weitergegeben wurde – ausschließlich vom Vater zum Sohn.
Die Fähigkeit, das riesige Tier zu kontrollieren, wurde als hohe Kunst angesehen, und der Besitz eines Elefanten war somit auch ein Statussymbol. Mehr als 5.000 Jahre wurden abgerichtete Elefanten in der Land- und Forstwirtschaft, bei der Jagd und in Kriegen eingesetzt.
Die Elefanten spiegeln die Einstellung der Mahuts wider, sowohl deren positive als auch die negative Stimmung.
Carol Buckley
Doch in den letzten 40 Jahren hat sich die Rolle der Mahuts genauso dramatisch verändert wie jene ihrer Schutzbefohlenen: Elefanten werden nun nur noch vereinzelt für Waldarbeiten verwendet, auch Jagd und Kriegseinsätze sind heute kein Thema mehr. Nun geht es hauptsächlich darum, Touristen und Zirkusbesucher zu unterhalten. Und die Mahuts sind in der Regel nicht mehr wie früher die Besitzer der Elefanten, sondern nur noch Angestellte von Nationalparks, was sowohl der traditionellen Wertvorstellung als auch der Kultur widerspricht. Der Job der Mahuts gleicht nun dem eines Taxifahrers, und das Sozialprestige ist ganz ähnlich gelagert.
Das veränderte auch das Verhältnis zwischen Mahuts und Elefantennachhaltig: War es früher eine geradezu intime Beziehung, die auf Vertrauen und Abhängigkeit aufbaute, ist es heute durch den Umstand getrübt, dass der Elefant dem Mahut nicht mehr gehört. Dazu kommt, dass die Arbeit des Mahuts heutzutage zumeist sehr schlecht bezahlt ist. All das hat natürlich die Liebe zwischen Mensch und Tier belastet: Im Gegensatz zu früher gehört der Elefant nun nicht mehr zur Familie, er ist nach und nach zum ungeliebten Arbeitswerkzeug degradiert worden.
Überzeugungsarbeit ist gefragt
„Klar träume ich davon, dass überall in Asien Elefanten frei leben dürfen“, sagt Buckley, „aber ich bin auch Realistin: Das wird nicht passieren. Jedoch kann ich meinen Teil dazu beitragen, dass sie es ein bisschen besser haben.“ Die Zeit im umzäunten Freigelände beschleunige den Heilungsprozess der geschundenen Tiere ungemein. „Für das Gesamtbild ändert das nichts, aber für das Individuum zählt jede Stunde ohne Ketten und Kommandos. Zu spüren, welche enorme Last diesen Tieren von den Schultern fällt, wenn sie erst einmal begreifen, dass sie in einem Gehege ohne Fußfesseln herumlaufen dürfen, ist jeden finanziellen und physischen Aufwand wert.“
Einmal, erzählt Buckley, sei eine ganze Horde Elefanten zum Zaun gekommen. „Sie stellten sich in einer Reihe vor mir auf und trompeteten völlig ausgelassen. Das war ihre Art, danke zu sagen. Diese Momente treiben mich an.“ Am nächsten Morgen frühstückt Carol Buckley mit den Mahuts des Elephant Camp. Zwölf Männer in olivgrünen Uniformen und ausgelatschten Sandalen sitzen in der spartanisch eingerichteten Kantine. Die Männer schaufeln sich mit den Händen Linsenbrei mit Reis in den Mund und sind gespannt, was der Gast aus einer ihnen völlig fremden Welt von ihnen will.

„Kann mir jemand erklären“, fragt die Frau mit den huskyblauen Augen auf Englisch, „warum wir hier im Elephant Camp diese Koppeln errichten?“ Schweigen, fragende Gesichter. Einer trommelt nervös mit den spröden Fingerkuppen auf dem verwitterten Holztisch herum, andere wippen mit den Sandalen auf und ab. Ansonsten: beredte Stille. Und die ist nicht nur auf die Sprachbarriere und die für Nepalesen typische schüchterne Höflichkeit gegenüber Ausländern zurückzuführen. Die Mahuts stehen unter Druck. Sie haben Angst, ihren Job oder gar ihr Leben zu verlieren. Sie sorgen sich, dass ihnen die Dominanz über ihre Elefanten genommen wird, sobald diese ihre Ketten los sind; und dass sich die Tiere dann für all die Schikanen an ihnen rächen werden.
„Das Problem liegt darin, eine Balance zwischen der neuen Freiheit im Gehege und trotzdem folgsamen Elefanten zu finden“, erklärt Buckley. Doch genau vor dieser Übung fürchten sich die Mahuts, wie sich zeigt. „Wir bekommen die Elefanten niemals wieder aus der Koppel heraus“, nörgelt einer der Männer. „Doch!“, antwortet Buckley bestimmt. „Und zwar mit Gut-Zureden und Leckereien wie Orangenscheiben oder Apfelstücken.“ Ein Raunen geht durch den Raum. „Was sind schon nette Worte?“, meint einer der Mahuts. „Damit verlieren wir nur unsere Autorität!“, ruft ein anderer.

Von ihrem Erfolg überzeugt, lächelt Buckley sanft – auch um die Gemüter zu beruhigen. „Alles wird gut“, sagt sie. „Ist der Elefant entspannt, folgt er auch euren Kommandos. Er versteht schnell den Unterschied zwischen den beiden Leben innerhalb und außerhalb des Geheges.“ Vereinzelt bricht der Ernst in den Gesichtern der Mahuts auf, sie zeigen vorsichtiges Interesse an Buckleys Idee. Die Gruppe diskutiert untereinander. Schließlich lautet die Einsicht: „Wir machen hier etwas Neues, etwas Historisches, ein Experiment – und freuen uns darauf.“
Alle applaudieren, die Skepsis bleibt dennoch. „Was weiß sie schon?!“, werden die Mahuts einander später zuraunen. „Elefanten zu ändern ist vergleichsweise einfach“, sagt Carol Buckley. „Sie leben im Hier und Jetzt und können sofort umschalten. Mit Menschen funktioniert das leider weniger gut – vor allem, wenn sie jahrzehntelang die immer gleiche Routine gelebt haben. Die Elefanten spiegeln die Einstellung der Mahuts wider, sowohl deren positive als auch die negative Stimmung. Wenn die Pfleger beispielsweise Versagensangst zeigen, fürchten sich auch die Elefanten. Darum sind sie manchmal aggressiv. Im Idealfall sind die Mahuts auch ohne Elefantenhaken selbstbewusst – und strahlen das auch aus.“
Jeder Mahut, der für seinen Elefanten und dessen Gefühlsleben Respekt entwickelt, davon ist Buckley überzeugt, habe umgehend eine bessere Beziehung zu seinem Tier. „Die wenigsten verstehen, wie ihr Verhalten einen Elefanten beeinflusst, dabei verstecken die Tiere ihre Emotionen gar nicht. Sie zeigen sowohl ihre Ängste und ihren Zorn als auch ihre gute Laune. Man muss nur genau hinschauen. Aber kulturell bedingt darf man in vielen Ländern Asiens keine Gefühle zeigen. Und viele haben auch kein Verlangen danach, sich emotional auf den Elefanten einzulassen.
Darum ist auch ihr Verständnis gering.“ Keine 20 Kilometer östlich des Tiger Tops Elephant Camp zeigt sich diese fatale Weltsicht in Reinkultur. Dort befindet sich Sauraha, das touristische Zentrum des Chitwan-Nationalparks. Auftreten.

Rund 200 Elefanten leben in der Kleinstadt, etwa ein Drittel davon gehört der nepalesischen Regierung. Diese Tiere sind seit 2013 gegenüber ihren Artgenossen privilegiert, denn sie dürfen am Abend in ein von Carol Buckley errichtetes Freigehege. An ihrem tristen Arbeitsalltag hat das freilich nichts geändert. Nach wie vor reiten jeden Tag Hunderte von Touristen auf Elefantenwracks in den Dschungel, um andere vom Aussterben bedrohte Tiere zu sehen. Majestätisch wirken an diesen Elefanten weder Aussehen noch
Klar träume ich davon, dass überall in Asien Elefanten frei leben dürfen
Carol Buckley
Wie viel Zeit bleibt dem asiatischen Elefanten noch?

Verschwindet der Asiatische Elefant? Prädikat: stark gefährdet. Noch im 19. Jahrhundert war der Asiatische Elefant in ganz Südasien verbreitet – von China im Osten bis Syrien im Westen. Heute kommt das größte lebende Landtier in freier Wildbahn nur noch punktuell vor: Der Bestand beträgt gerade einmal 30.000 Exemplare.
Zum Vergleich: Vor fünfzig Jahren waren es noch 160.000. Die zusätzlich 15.000 Elefanten, die als Arbeitstiere gehalten werden, helfen da wenig: In Gefangenschaft pflanzen sie sich nur sehr schlecht fort. Die Gründe für die dramatische Dezimierung wirken vertraut: die fortschreitende Reduzierung des Lebensraums durch Abholzung von Regenwäldern, Konflikte mit Bauern und die illegale Jagd auf Bullen wegen ihrer Stoßzähne aus Elfenbein. Verglichen mit dem Asiatischen Elefanten geht es seinem Cousin in Afrika geradezu prächtig: Vom Afrikanischen Elefanten gibt es immerhin noch an die 500.000 Exemplare.
Vom Leben gezeichnet

Die ausgemergelten Körper sind übersät von armlangen Narben, Blutergüssen und Abszessen. Die meisten von ihnen haben X-Beine, die ihnen das Gehen erschweren – nur eine von vielen Folgen der Ketten, mit denen sie von Kindheit an leben müssen. Eine andere sind die wunden Füße – für die tonnenschweren Tiere der wichtigste Körperteil.
„Die Narben an der Psyche des Elefanten bleiben hingegen unsichtbar“, sagt Carol Buckley. „Sie leiden unter posttraumatischen Belastungsstörungen, sind neurotisch und depressiv. Und wenn sie depressiv sind, ist der Körper auch anfälliger für Krankheiten – darum sind die meisten Elefanten in Gefangenschaft krank.“ Für die Touristen ist dieses Leid leicht zu übersehen. Sie sind in Sauraha abgelenkt von einem farbenfrohen Spektakel: rosarote Zuckerwatte, Berge von Mandarinen und Erdnüssen, goldbraun frittierte Teigwaren und überall Saris, Sonnenschirme und Selfie-Sticks in allen Farbschattierungen von Absinthgrün bis Zitronengelb. „Sauraha ist der Inbegriff der Hölle auf Erden für Elefanten“, sagt Buckley.
Hier prallen zwei Welten aufeinander: Während die zumeist ahnungslosen Touristen den Spaß ihres Lebens haben, quälen sich die frustrierten Elefanten durch den Tag. „Sie leben in ständiger Angst, unterdrücken jeglichen Willen und folgen in Demut und Geduld den Kommandos, um nicht von ihrem Pfleger bestraft zu werden.“
Die Mahuts wissen gar nicht, wie viel Dominanz sie gegenüber ihren Elefanten ausüben.
Carol Buckleys
Hat ihr Gehege in Sauraha also gar nichts gebracht? „Doch“, sagt Buckley bestimmt. „Einen Augenblick Freiheit, jeden Tag. Viel mehr, als sie zuvor hatten.“ Tags darauf herrscht nervöse Unruhe in der Nachmittagshitze des Elephant Camp. Die erste von insgesamt fünf geplanten Koppeln ist fertig. Carol Buckley läuft hektisch auf und ab, um die elektrische Spannung in den Zaundrähten zu messen und Müll einzusammeln.
Der Geruch frischen Elefantendungs und der süßlich beißende Duft von wild wuchernden Hanfpflanzen vermischen sich in einer leichten Brise. Ein Priester vollzieht eine religiöse Zeremonie – er opfert dem hinduistischen Elefantengott Ganesh Süßigkeiten und Obst, entzündet Räucherstäbchen und verstreut pinkfarbene Hibiskusblüten. Dann segnet er den Boden vor dem Eingang des Geheges sowie den Schaltkasten des Elektrozauns, in dem sich die mit Solarstrom gespeiste Batterie befindet.
Im Hintergrund fallen schwere Ketten zu Boden. Im Elephant Camp der Tiger Top Lodge bekommen heute zwölf Elefantenkühe ihre Freiheit geschenkt – im größten Gehege, das Carol Buckley je gebaut hat. Nervös schwingen die Elefanten ihre Köpfe hin und her. Sie spüren, dass etwas in der Luft liegt. Der Priester drückt jeder einzelnen Elefantenkuh ein Tika auf den Rüssel – das Segenszeichen in Form einer Paste aus getrocknetem Reis, Mehl und rotem Naturfarbstoff. Auch Carol Buckley, die Mahuts und alle anderen bekommen einen roten Daumenabdruck auf die Stirn.

Es ist so einfach und doch bedeutet es so viel für diese Riesen.
Carol Buckleys
Ein neuer Lebensabschnitt beginnt
Unter tosendem Applaus durchschneidet Buckley das Eröffnungsband und macht das Gatter auf. Befreit von ihren Ketten, bleiben die Elefanten nach einigen Metern verwirrt stehen und zelebrieren ihr eigenes Einweihungsritual: Sie graben mit ihren Rüsseln im Sand und pudern damit ihre Rücken ein. Plötzlich legen sie los, schnalzen die Rüssel auf die Erde, quietschen und trompeten, poltern und rumoren, kollern, grollen und schnurren vergnügt in langen und tiefen Tönen. Der Boden bebt.
Carol Buckleys Hände zittern, sie kämpft mit den Tränen. „Es ist so einfach“, murmelt sie, „und doch bedeutet es so viel für diese Riesen.“ Auch die Mahuts können sich jetzt ein Lächeln nicht verkneifen und sind sichtlich gerührt von dem Schauspiel. Buckley bedankt sich bei jedem einzelnen von ihnen für das entgegengebrachte Vertrauen. Noch bevor die Morgensonne den Himmel erhellt und die Ausläufer des Himalayamassivs sich langsam aus dem Dunkel schälen, drehen die nepalesischen Soldaten, die den Nationalpark vor Wilderern schützen sollen, joggend ihre tägliche Morgenrunde.

Auch Carol Buckley ist bereits auf. Sie steht am Haupteingang der eben erst fertiggestellten Koppel und beobachtet das Verhalten der Elefanten, die vor ihrer wichtigsten Prüfung stehen. Nach ihrer ersten freien Nacht müssen sie nun wieder das umzäunte Gelände verlassen, um im Fluss baden zu gehen und mit ihren Mahuts Futter zu holen. Wie es Buckley den Männern empfohlen hat, stellen sich diese in einer Reihe auf und rufen aus der Distanz ihre Elefanten zu sich. Vorerst passiert nichts.
Es ist eine Geduldsprobe, an die sich beide Parteien erst gewöhnen müssen. „Die Mahuts wissen gar nicht, wie viel Dominanz sie gegenüber ihren Elefanten ausüben“, flüstert Buckley. Und tatsächlich: Einer nach dem anderen trotten die Dickhäuter auf ihre Pfleger zu – ohne Drohungen, ohne Schläge, ohne Druck. Den Mahuts ist die Erleichterung in ihren Gesichtern abzulesen. Carol Buckley lächelt zufrieden. Mission erfüllt.
Diese Geschichte erschien erstmals im Terra Mater Magazin, April 2016.

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