Fregattvögel: Piraten der Lüfte

Vor dem nördlichsten Zipfel Perus, in Sichtweite der Grenze zu Ecuador und unweit des Äquators, treibt eine merkwürdige Insel im Pazifischen Ozean. Die Isla de los Pájaros, die Vogelinsel, besteht im Wesentlichen aus Mangroven, jenen Zwitterwesen aus Wald und Wasser, die sich in den Gezeitenzonen geschickt mit dem Meer arrangieren. Die Wurzeln dieser salzwasserresistenten Bäume stecken im Boden, der jedoch bestenfalls bei Ebbe trocken liegt. Bei Flut hingegen steigt das Wasser oft bis an den unteren Rand der Baumkronen.
Die Vogelinsel bevölkern vor allem Prachtfregattvögel; an die 3.600 nisten hier, so schätzen Ornithologen. Fregata magnificens ist ein stattliches, mit wehrhaftem Hakenschnabel -ausgestattetes Tier, das in der Karibik und entlang der tropischen Küsten von Nord- und Südamerika lebt. Fregattvögel sind nicht ungefährdet, doch die spezielle Mangrovenarchitektur der Isla de los Pájaros schützt sie vor Fressfeinden, die ihnen vor allem in der Brutzeit gefährlich werden könnten. Auch deshalb erinnert die Kolonie auf dem Blätterdach aus der Luft betrachtet an einen fröhlichen Campingplatz, ausgelassene Stimmung überall und permanente Beschallung aus zig Kofferradios. (Das Gekreische ist jedoch unmusikalisch, es klingt bestenfalls nach dem Geklapper mechanischer Schreibmaschinen.)

Peru ist insgesamt gut zu diesen Tieren: Vom kleinen Hafen Puerto Pizarro, gleich vis-à-vis am Festland, schwärmen zwar massenhaft die Boote der Touristen aus, um die Vögel vor allem in der Balzsaison zu bestaunen, doch das stört die Tiere nicht. In Peru verschreibt man sich generell immer mehr dem Naturschutz. Das Land, geografisch dominiert vom Gebirgszug der Anden und dem Regenwald im Quellgebiet des Amazonas, ist stolz auf seine Diversität. 70 Prozent der biologischen Vielfalt des Planeten soll hier zu finden sein, und was den Artenreichtum bei Vögeln betrifft, liegt Peru mit Kolumbien und Brasilien weltweit an der Spitze.

Der schmale peruanische Uferstreifen am Pazifik eignet sich klarerweise am besten zur Beobachtung der Meeresvögel. Der Prachtfregattvogel ist wohl eine der ungewöhnlichsten Spezies dieser Art und ein genialer Flieger. Schlanker Körper, kurzer Hals, ausladende Schwingen, gegabelter Schwanz: Diese Optik macht ihn bereits auf dem ersten Blick zum Aeronauten. Seine Flügelspannweite beträgt bis zu zweieinhalb Meter, die mit Luft gefüllten Knochen sind extrem leicht gebaut: Sie machen nur fünf Prozent seines Körpergewichts aus.
Muskulatur und Skelett hat die Evolution im Lauf der Zeit ganz auf Ausdauer und rasante Richtungswechsel hin entwickelt. Die Vögel scheinen stets mit minimalem Kraftaufwand unterwegs zu sein, ob bei Flaute oder in starker Brise, und können dabei wochenlang ohne Zwischenlandung über dem Meer kreisen. Schalten sie in den Jagdmodus, verwandelt sich ihr gelassenes Gleiten in aggressiven Angriff, sie irrlichtern durch die Luft und scheinen, immun gegen jede Schwerkraft, wie im Zeitraffer unterwegs.
Kein Vorteil ohne Nachteil: Rückgebildete Beine erschweren das Schreiten und auch das Schwimmen, selbst Schwimmhäute sind kaum noch vorhanden. Noch etwas ist verkümmert: die Bürzeldrüse. Sie produziert so wenig öliges Sekret, dass die Fregattvögel ihr Gefieder kaum wasserdicht halten können und es deshalb nach Möglichkeit vermeiden, mit dem Meer in Berührung zu kommen. Daraus hat sich ihre Jagdtechnik entwickelt: Ihre Hauptbeute, fliegende Fische, erwischen sie, wenn diese auf der Flucht sinnloserweise aus dem Wasser springen. Und sie jagen anderen Vögeln in der Luft ihre Beute ab: Dieser unverfrorene Mundraub ähnelt den historischen Angriffen von Seeräubern, die dafür flinke Kriegsschiffe verwendeten, Fregatten, die dem Vogel seinen Namen gaben.




Auf hoher See zeigen Fregattvögel ihre Künste unter Ausschluss der Öffentlichkeit. Besser lassen sie sich während der Balz und der Aufzucht der Jungen beobachten. Zuerst müssen die deutlich größeren Weibchen umworben werden: Die Männchen betreiben dabei den Sommer über viel Aufwand. Ständig führen sie Revierkämpfe um die höchsten Zweige und die damit beste Bühne, um den Weibchen zu imponieren. In luftiger Höhe wird dann der rote Kehlsack aufgeblasen – die Mangroven auf der Isla de los Pájaros sehen dann aus, als würden sie rotglänzende, mannskopf-große Früchte tragen – und laut gekreischt.
Hat sich das Weibchen entschieden, geht es relativ schnell zur Sache. Während der Kopulation, die nur wenige Sekunden dauert, faltet das Männchen seinen dann unpraktischen Kehlsack wieder zusammen. Hinterher beginnt die Hauptarbeit des neuen Paars: der Nestbau auf schwankendem Untergrund. Ist die Bleibe fertig sortiert und das – stets einzige – Ei gelegt, wechselt sich das Paar ab bei Bewachung und Nahrungssuche. Die Sicherung dient nicht nur dem Schutz des Eis: Fregattvögel stibitzen auch gerne Zweige und damit Baumaterial aus fremden Nestern – einmal Kleptomane, immer Kleptomane.
Du Schiff der Luft, das nie die Segel streicht …
Walt Whitman, US-Dichter über den Fregattvogel
Das weiße Ei wird 40 bis 50 Tage bebrütet. Nach fünf bis sechs Monaten ist der Jungvogel flügge, wird aber noch weitere fünf bis sieben Monate gefüttert. Familienleben wird bei den Fregattvögeln großgeschrieben. Das erkennt man auch an einem anderen Phänomen: Sind die Nester der Kolonie allmählich mit nackten, anfangs violett gefärbten Küken gefüllt, sinkt die Aggressivität der Altvögel untereinander merklich.
Dass junge Fregattvögel derart lange im -Hotel Mama bleiben und damit auch unter der Aufsicht des Papas, hat mit dem Erlernen -ihrer Flugkünste zu tun. Von nichts kommt nichts: Zuerst geht’s um das Gleichgewicht beim Starten und Landen – nicht einfach, trotz kräftiger Krallen. Dann heißt es, die Thermik zu durchschauen und das Gleiten zu erlernen; zu verstehen, wie ein winziger Wink mit dem Flügel bereits erstaunliche Auswirkungen haben kann. Das Wichtigste, die Jagd, wird spielerisch erlernt, im angedeuteten Luftkampf mit anderen Jungvögeln. Oft schlägt dabei der Übermut durch, wie Vogelbeobachter feststellen: Es sind vor allem Jungvögel, die Küken aus Nestern fremder Arten stehlen – und diese dann in der Luft spielerisch fallen lassen und wieder schnappen – oder die den Fischern den Fang aus den Netzen stehlen.

Beeindruckt haben Fregattvögel nicht nur unbedarfte Beobachter und manche Inselbewohner – in Polynesien werden sie bisweilen wie Brieftauben abgerichtet –, sondern über die Jahrhunderte auch prominente Zeitgenossen. Christoph Kolumbus notierte am 29. September 1492 die wohl erste schriftliche Aufzeichnung über diesen Vogel in sein Logbuch: „Es ist ein Seevogel, niemals aber landet er auf dem Wasser oder entfernt sich weiter als 20 Leguas (Meilen, Anm.) von der Küste. Auf den Kapverdischen Inseln gibt es seiner viele.“ Charles Darwin nannte die Vögel, als er sie in Südamerika erstmals sah, ob ihrer Größe ehrfürchtig „Kondore des Meeres“.
Der US-amerikanische Dichter Walt Whitman war offenbar ebenfalls tief beeindruckt und schrieb im Gedicht „An den Fregattvogel“ über das Tier: „… geboren, dich zu messen mit dem Sturm (du bist ganz Schwingen), / Mit Himmel und -Erde, -Woge und Orkan, / Du Schiff der Luft, das nie die -Segel streicht …“
Diese Geschichte erschien erstmals im Terra Mater Magazin 2/2021.
Unser Fotograf vor Ort
Drei Jahre beobachtete der peruanische Fotograf und Autor Juan Tió Idrogo die Fregattvögel auf der Isla de los Pájaros im Norden Perus durch alle Jahreszeiten – und wurde dabei schier aufgefressen von Stechmücken. Das Ergebnis ist nicht nur ein Dokumentarfilm über den „Kondor des Meeres“, wie Charles Darwin den Vogel ehrfürchtig nannte, sondern auch eine fabelhafte Fotogeschichte: Kaum jemand war den Tieren bislang so nahe gekommen. Der Fischerei-Ingenieur Tió Idrogo (Spezialgebiet Biodiversitäts- und Umweltmanagement) leitet in seiner Heimat auch das Bildungsprojekt „Mar para Conservar“. Es zeigt Möglichkeiten auf, wie Menschen das Meer nachhaltiger nutzen können. Die Fischer von Puerto Pizarro, nahe am Schutzgebiet der Fregattvögel, beherzigen das bereits: Was sie an Fisch an die Vögel verlieren, kompensieren sie mit Einnahmen aus dem Tourismus.

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