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Doñana: Europas wichtigstes Feuchtland

Landeplatz für Millionen Zugvögel, Zuflucht für Luchse, Hirsche und Wildschweine: Die spanische Doñana ist Weltnaturerbe besteht seit über 50 Jahren. Menschen wie Álvaro, José und Yasmín halten dieses Wunder am Leben.
Text: Ofelia de Pablo, Fotos: Javier Zurita / 8 Min. Lesezeit
Die spanische Doñana ist Europas wichtigstes Feuchtland. Foto: Javier Zurita
Die spanische Doñana ist Europas wichtigstes Feuchtland.
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Der Propeller knattert. Das kleine Flugzeug stolpert über die Landebahn, beschleunigt, wird schneller, hebt ab. Unter den Tragflächen breitet sich der Nationalpark Coto de Doñana aus, Europas wichtigstes Feuchtgebiet. Flamingos, Graureiher, Kaiseradler und bis zu sechs Millionen Zugvögel treffen sich hier jedes Jahr in diesem spektakulären Marschland, bewässert vom Fluss Guadalquivir. Zudem ist die Doñana Zufluchtsort für den Iberischen Luchs, eine der meistgefährdeten Raubkatzen.

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Die unendlichen Weiten des Naturgebietes. Foto: Javier Zurita
Die unendlichen Weiten des Naturgebietes.

José Luis Arroyo, Biologe der Forschungsstation im Nationalpark, sitzt im Flugzeug und späht aus einem Seitenfenster auf das bunte Mosaik, das die Landschaft unter ihm bildet. Marschland wechselt sich ab mit Wald, Wanderdünen, Stränden, Schutzstreifen und Unterholz. Das Flugzeug fliegt tief, all die charakteristischen Plätze scheinen in Griffweite zu liegen: der Ojo de Martinazo, ein kleiner See mit Insel in der Form eines Auges, die Seen Laguna de Santa Olalla oder Lucio de Mari López, die Dünen von Cerro de los Ánsares, die Landspitze Punta de Malandar und das versteinerte Dünensystem Acantilado del Asperillo, an die 30 Meter hoch.

Es wimmelt von Vögeln, speziell von geschäftigen Löffel-, Krick- und Pfeifenten, dazwischen ziehen Schwärme von eleganten Braunsichlern. Arroyo hat die schwierige Aufgabe, die Zahl der Zugvögel zu ermitteln, die hier jedes Jahr Station machen. Auch heute: Wenn der Erkundungsflug nach drei Stunden vorbei ist, hat er an die 30.000 Graugänse, 25.000 Flamingos, 50.000 Uferschnepfen und 95.000 Enten gezählt.

Bald taucht das Meer vor dem Flugzeug auf. Der Nationalpark berührt drei Provinzen – Cádiz, Sevilla und Huelva – und grenzt an einer Seite an den Atlantik. Von dem aus kriechen Wanderdünen landeinwärts, unaufhaltsam, über die Pinienhaine hinweg. Wenn diese wieder freigegeben werden, bleiben die erstickten Stämme wie versteinert zurück. Der Strand ist gut 30 Kilometer lang, von Menschen unberührter Sand. Daneben beginnt das dichte Unterholz, wo der heimliche König des Parks lebt, der Iberische Luchs.

Bird Watcher besuchen die Doñana. Foto: Javier Zurita
Bird Watcher besuchen die Doñana.

Aus der Luft betrachtet fasziniert das Wunder der Doñana ganz besonders. Man erkennt aber auch die Gefahren, die sie bedrohen: Der Nationalpark ist von Ackerland umgeben, 40.000 Hektar Reisfelder und 6.000 Hektar mit Gewächshäusern, in denen etwa Erdbeeren gedeihen. Die von der Landwirtschaft eingesetzten Pestizide seien gar nicht das Hauptproblem, so Felipe Fuentelsaz, ein Vertreter des World Wildlife Fund. „Es sind eher der Wasserdiebstahl durch illegale Brunnen, die das Grundwasser anzapfen, ein geplantes Gaslager und Ausbaggern des Guadalquivir-Flussbetts.“

Anlässlich des 50. Geburtstags von Doñana präsentiert der WWF einen Report, der auf diese Bedrohungen hinweist. Die spanische Regierung ist daran nicht ganz unschuldig: 16 von 18 Empfehlungen – ausgesprochen von der UNESCO, um die Zukunft eines beispielhaften Schutzgebiets zu sichern – wurden bisher ignoriert.

Gewissermaßen ein Zwist mit Tradition. Mitte des letzten Jahrhunderts plante die Regierung, das Marschland trockenzulegen und in Acker- und Bauland umzuwandeln. Damals leistete eine Gruppe von Visionären erfolgreich Widerstand. Einer davon war der Biologe José Antonio Valverde, der dabei von der Hilfe des Schweizer Mäzens und WWF-Gründungsmitglieds Luc Hoffmann profitierte. Die Gruppe lancierte eine der ersten internationalen Kampagnen mit dem Ziel, die Doñana zu retten. Nach der Gründung des WWF im Jahr 1961 wurden umgerechnet 198.000 Euros gesammelt und damit 1963 knapp 6.700 Hektar „freigekauft“. Das erste Schutzgebiet Spaniens wurde dem Centro Superior de Investigaciones Científicas (CSIC) überschrieben, das später in die Forschungsstation Doñana überging.

Der Acantilado del Asperillo ist ein System fossiler Dünen, geformt von Wind und Regen. Foto: Javier Zurita
Der Acantilado del Asperillo ist ein System fossiler Dünen, geformt von Wind und Regen.

Die Menschen dahinter

Álvaro Robles arbeitet als Wildhüter im Park. Bereits sein Urgroßvater übte diese Tätigkeit aus, und da Álvaros Tochter Alba ebenfalls nicht aus der Art schlägt, wächst bereits die fünfte Generation Wildhüter heran. Alba, sieben Jahre alt, begleitet ihren Vater, wann immer es geht, um von ihm zu lernen, etwa wie man seinen Weg durch die Dünen findet. Álvaro marschiert traumwandlerisch voran, er kennt jeden Hügel, jeden Baum, schließlich ist er hier aufgewachsen. „Das ist einfach meine Heimat“, sagt er. „Ich habe hier mit meinem Bruder Cowboy und Indianer gespielt – noch dazu mit echten Pferden!“

Es sind spezielle Tiere, die hier beheimatet sind, Retuerta genannt und erst seit 2016 auch als Rasse anerkannt. Álvaro: „Wenn das Marschland regelmäßig überflutet ist, bleiben sogar Geländewagen stecken. Dann steigen wir Wildhüter und selbst die Wissenschaftler auf die Pferde um.“

Heute streifen Alba und Álvaro zur Laguna de Santa Olalla, einer der zentralen Punkte des Feuchtgebiets. Das Geschrei der Flamingos, die ihre abendlichen Streitgespräche führen, füllt die Luft, zaghaft durchmischt vom Schnarren der Seidenreiher und dem Keckern der Säbelschnäbler. Der Himmel färbt sich abendrot, und Álvaro schaut verträumt: „Ich würde das hier für nichts in der Welt eintauschen.“ Die kleine Alba drückt sich an ihn und schaut aufmerksam zur Lagune. Álvaro, nun ganz Vater, erklärt: „Die Flamingos kennst du ja, aber das da drüben, mit dem glänzend grünen Gefieder am Hals und dem breiten Schnabel, das ist ein Löffelenten-Erpel.“

Tierärztin Yasmín El Bouyafrouri checkt den Pardelluchs Osezno. Foto: Javier Zurita
Tierärztin Yasmín El Bouyafrouri checkt den Pardelluchs Osezno.

Das Wappentier der Doñana

Es ist sieben Uhr früh. Nichts regt sich im gut getarnten Jagdstand. Jeder hält den Atem an. Statt der Flinten liegen Teleobjektive auf der Lauer, alles wartet auf das lautlose Signal des Wildhüters. Man fühlt die Nähe eines Luchses, doch zu sehen ist noch keiner. Dann taucht plötzlich etwas auf – ein Muttertier mit zwei Jungen. Selbstvergessen balgen die Kleinen um ihre Mutter herum, die wachsam durchs halbhohe Gras zieht. Ein Spektakel für alle, die Zeugen sein dürfen, denn der Iberische Luchs oder Pardelluchs ist eine rare Spezies, die noch immer stark gefährdet ist.

Das soll nun ein Ende haben: Das Centro de Cría del Lince El Acebuche de Doñana im Park kümmert sich erfolgreich um Schutz und Auswilderung. Vor wenigen Monaten konnte das Tier von der Roten Liste genommen werden. Als das Centro 2003 mit seiner Arbeit begann, gab es 94 Exemplare. Aktuell sind es rund 600: In vier Zuchtstationen wurden 2018 in Spanien 40 Junge geboren, ein Rekord.

Die Zuchtstation ist das Herz der Doñana, speziell die medizinische Abteilung. Selbst wenn es auf den Gängen ruhig ist: Ständig flimmernde Überwachungsmonitore zeigen, dass hier rund um die Uhr gearbeitet wird – und überwacht: Die Katzen werden nicht aus den Augen gelassen. „Irgendwann weiß man dann, was sie mögen, wie sie sich fühlen, was sie vorhaben. Irgendwann ist man ein Teil ihrer Familie – und der Tag, wenn sie in die Freiheit entlassen werden, ist unbeschreiblich“, erzählt Blanca Rodríguez, eine der Video-Assistentinnen.

Der Iberische Luchs ist das Wappentier der Doñana. Foto: Javier Zurita
Der Iberische Luchs ist das Wappentier der Doñana.

Irgendwann weiß man dann, was sie mögen, wie sie sich fühlen, was sie vorhaben. Irgendwann ist man ein Teil ihrer Familie – und der Tag, wenn sie in die Freiheit entlassen werden, ist unbeschreiblich

Blanca Rodríguez, Video-Assistentin

Jede Geburt eines derart bedrohten Tieres ist deswegen ein freudiges Ereignis und wird von Pflegern und Tierärzten mit Sekt und Schinkenhäppchen gefeiert. Ebenso jeder Tag, an dem eine Auswilderung bevorsteht. Heute ist so ein Tag, und Tierärztin Yasmín El Bouyafrouri erledigt vorsichtig die letzten Untersuchungen. Osezno, einem jungen Jährling, wird ein Überwachungsgerät montiert: Damit kann sein Revierverhalten überwacht und ausgewertet werden. Mit jedem getrackten Tier lernen die Forscher, die Luchse besser zu verstehen, was auch den nachfolgenden Generationen hilft.

Yasmín stammt aus Madrid, und sie hat den Job in der Doñana angenommen, um sich einen beruflichen Traum zu erfüllen. Sie kann sich noch gut an die wunderbaren Tage erinnern, als sie einige von ihrer Mutter verstoßene Jungtiere per Handfütterung aufzog. Doch es gab auch schreckliche Tage, etwa als 2017 ein Buschfeuer über 6.000 Hektar des Parks zerstörte. Die Forschungsstation musste geräumt werden, und einer der Luchse starb wegen Evakuierungsstress. Der gesamte Park geriet an den Rand seiner Vernichtung, ausgelöst durch simple Unachtsamkeit.

Weißstörche kommen nur den Sommer über. Foto: Javier Zurita
Weißstörche kommen nur den Sommer über.

Kampf gegen Wilderer

Die Nächte in der Doñana können romantisch sein, auch aufregend. Wilderer dringen immer wieder in den Park ein und nutzen dabei aus, dass die Tiere gegenüber Menschen weniger scheu sind als in freier Wildbahn. Die Nacht ist aber auch jene Zeit, zu der Wissenschaftler wie Carmen Díaz Paniagua ihre wissenschaftliche Arbeit erledigen – und sich inspirieren lassen: „Für mich haben die Nächte einen unvergleichlichen Zauber – etwa wenn man draußen im Marschland hockt und den Fröschen zuhört. Allein dieses Erlebnis, mit ihnen ungestört zu sein, ist wunderbar.“

Für ihre nächtlichen Ausflüge packt Paniagua stets eine spezielle Ausrüstung zusammen: alle Arten von Netzen, dazu Fackeln, Notebook und natürlich ihre Gummistiefel. Ihre Aufmerksamkeit gilt nicht nur den Gesängen der Frösche. „Die Doñana trocknet aus“, sagt Paniagua. Was unsichtbar im Boden passiert und deshalb allzu oft ignoriert wird: „Die Doñana lebt vom Wasser – aber illegale Brunnen stehlen es uns.“

Ornithologe Beltrán de Ceballos hat einstiges Trockengebiet in ein Vogelparadies zurückverwandelt. Foto: Javier Zurita
Ornithologe Beltrán de Ceballos hat einstiges Trockengebiet in ein Vogelparadies zurückverwandelt.

Ich liebe Vögel, solange ich mich erinnern kann.

Beltrán de Ceballos, Gründer des Schutz- gebiets Dehesa de Abajo nahe der Doñana

Dazu kommen noch weitere Belastungen: Im Gegensatz zu anderen Naturreservaten muss sich die Doñana „ihr“ Wasser mit mehr als 200.000 Bewohnern der Provinz Huelva teilen – etwa einem Golfclub aus dem nahen Tourismusdorf Matalascañas, dessen Einwohnerzahl sich während der Feriensaison auf gut 100.000 Menschen vervierzigfacht – sowie zahllosen illegalen Ackerflächen. Wenn diese Wassermengen weiter wie bisher aus dem Grundwasserreservoir entnommen werden, befürchtet die Biologin Carmen Díaz Paniagua, dass „bald nichts mehr von der Doñana übrig bleiben“ könnte.

Naturschutz ist der Schlüssel zum Schutz des Parks. Noch wichtiger sei, dass die Leute das Land lieben und deshalb gerne dafür arbeiten, sagt Beltrán de Ceballos, Gründer des Schutz- gebiets Dehesa de Abajo nahe der Doñana. Und nennt sich selbst als Beispiel: „Ich liebe Vögel, solange ich mich erinnern kann.“ Mit 14 war er das erste Mal in der Doñana; schon damals fühlte er, sein persönliches Mekka gefunden zu haben.

Unermüdlich arbeitete er daran, das Gebiet der Dehesa de Abajo vom Trockengebiet zum Vogelparadies umzugestalten. Ein ambitioniertes Unterfangen, doch jetzt kommen Besucher aus aller Welt, um das Ergebnis zu bewundern – und sogar die lokale Bevölkerung hat er auf seiner Seite. Ceballos: „Warum? Weil sie Teil des ganzen Projekts sein wollen. Und weil sie langsam verstehen: Die Doñana hat nicht nur einen Wert für die Umwelt, sie bietet auch große wirtschaftliche Möglichkeiten.“

Wir gehören nun einmal zur Natur, sind Teil von ihr. Sie kennen zu lernen ist die beste Methode, dass wir sie bewahren, für immer.

Álvaro Robles, Wildhüter
Alba, die siebenjährige Tochter von Parkranger Álvaro Robles, beim Erkunden der Vögel. Foto: Javier Zurita
Alba, die siebenjährige Tochter von Parkranger Álvaro Robles, beim Erkunden der Vögel.

Wir brauchen mehr Doñanas

Zurück bei der Forschungsstation. Ein Hirsch und eine Kuh treten ins Blickfeld, betrachten Juan und seine Begleiter, trollen sich wieder. Wenig später taucht eine Gruppe Bienenfresser-Vögel auf, umkreist als knallbunter Begleitschutz den Jeep und sichert ihn, auf dass ihnen keine Gefahr drohen möge.

„Wie lange wird die Doñana noch so überleben, wie wir sie kennen?“, murmelt Álvaro Robles, mehr an sich gewandt. Und: „Wir brauchen mehr Doñanas – nicht ihnen zuliebe, sondern uns zuliebe.“ Ein Wunsch, dem alle zustimmen können, die im Park arbeiten: die Natur mehr in unser tägliches Leben zu integrieren. Álvaro Robles: „Wir gehören nun einmal zur Natur, sind Teil von ihr. Sie kennen zu lernen ist die beste Methode, dass wir sie bewahren, für immer.“

Diese Geschichte erschien erstmals im Terra Mater Magazin, Jänner 2019. 

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