Der Sternenjäger: Mikrometeoriten aus dem Weltall

Das Dokkdhuset ist glänzend besucht. Die Garderobe voll bis auf den letzten Haken, man wartet geduldig auf sein Bier. Der Manager des Musikclubs im alten Hafen von Trondheim freut sich, ist aber nicht überrascht: Heute gastiert die renommierte Jazzband Hot Club de Norvège. Gitarrist Jon Larsen hat sie 1979 in Verehrung des französischen Gitarrenkünstlers Django Reinhardt gegründet. In den 40 Jahren hat Larsen allerhand hineingepackt in die Musik der Band: eigenes Können, Inspiration aus der Zusammenarbeit mit Stars wie Frank Zappa, die Erfahrung von fast 400 produzierten CDs und Platten.
Trondheim ist eine norwegische Station der Jubiläumstournee des Hot Club; das Quintett tritt heute zum letzten Mal hier auf. 40 Jahre herumreisen in Sachen Musik reichen, sagt Larsen. Er reicht die Fackel im Dezember weiter an einen talentierten jungen Gitarristen, der den smarten Gipsy-Swing künftig pflegen wird.
An diesem Abend ist noch Larsen der Chef. Zum einen mit seinem Instrument. Zum anderen mit dem Mikrofon, wenn er zwischen den Stücken das Publikum mitreißt, mit Anekdoten von der Tournee, mit Geschichten über die gespielten Stücke, mit Witzen über seine Bandkollegen. Dabei könnte Larsen längst ebenso unterhaltsame Geschichten aus seinem zweiten Leben erzählen, für das er bald mehr Zeit hat.




Die nächsten Schritte in der Erforschung der Mikrometeoriten sind Antworten auf folgende Fragen: Woher genau kommen sie? Wie lange waren sie unterwegs zu uns? Woraus bestehen sie exakt? Und was können wir aus ihrer erstaunlichen Vielfalt lernen?

Der Wink des Himmels
Es beginnt 2009. Da landet ein glitzerndes Staubkorn auf Larsens Gartentisch in seinem Feriendomizil in Brevik. Der Winzling geht später verloren, doch vorher infiziert er Larsen: Vielleicht ein Mikrometeorit? Eine Botschaft aus dem All?
Von diesem Moment an ist Larsen im Jagdmodus. Er sammelt Staub auf Straßen, aus Dach-rinnen, an jedem Ort, den er besucht, ob als Musiker oder Urlauber. Er reinigt den Staub, sortiert und inspiziert ihn per Mikroskop. Er überhört spöttische Fragen seiner Freunde und kommt mit der Polizei in Konflikt, die ihn samt Besen und Magnet – Sternenstaub ist fast immer magnetisch– von Straßen und Verkehrsinseln scheucht.
Bei der Suche, die er später auf erfolgversprechendere Flachdächer ausdehnt, tappt Larsen im Dunkeln. Es gibt keine Fotos von dem, was er sucht. Die einzigen Aufnahmen von Himmelskörpern, die es auf die Erde geschafft haben, sind Schnittaufnahmen von Exemplaren, die man in der Antarktis entdeckt hat. Immer wieder rennt Larson in Sackgassen, doch da es zu dieser Zeit Probleme mit einem Kollegen in seiner Band gibt und damit weniger Engagements, bleibt mehr Zeit für die Suche.
Larsen nähert sich seinem Ziel hartnäckig nach dem Ausschlussprinzip an. Unter hundertfacher Vergrößerung sortiert er im Lauf der Zeit alle identifizierbaren irdischen Verwandten der Mikrometeoriten aus: Schweißspritzer und Glaskügelchen, Feuerwerksreste und Bremsabrieb, Mineralwollabfälle, Schlacketeilchen und Vulkanstaub. Vieles davon ist optisch beeindruckend, aber eben terrestrisch – oder zu groß; auch das lernt Larsen mit der Zeit.

Ein Bild sagt einfach mehr
Jon Larsen vertieft sich in seine Suche wie in eine buddhistische Zen-Übung: Man findet Sinn in einer einfachen Tätigkeit und sogar, indem man nichts findet. Je mehr Larsen sich engagiert, desto mehr verliert er den Bezug zu seinem Ziel – und erreicht es damit.
Der Durchbruch gelingt 2011, mit dem Beginn der Zusammenarbeit mit Jan Braly Kihle. Der Geologe und Angestellte im Institutt forenergiteknikk in Oslo konstruiert eine Apparatur zum Fotografieren der Winzlinge: Der Mikrometeorit wird mit Hilfe einer Spezialkamera in Schärfentiefescheiben fotografiert; am Ende kombiniert der Computer diese vielen Schichten zu einer Aufnahme. Das Ergebnis ist scharf, bunt und spektakulär – ganz anders als die schlichten körnigen Schwarz-Weiß-Mikrometeoritenaufnahmen aus der Antarktis, die nur für Wissenschaftler gedacht waren. So wie Noten erst als gespielte Musik rühren: Erst Kihles Bilder überzeugten die Welt von Jon Larsens Funden.
Und sie rühren speziell einen Menschen: Als Larsen am 4. Februar 2015 der überaus kritischen Mikrometeoritenkoryphäe Matthew Genge bei einem Treffen in Bergen das Foto eines speziellen Fundstücks zeigt, blickt der Professor am Londoner Imperial College kurz vom Frühstückskaffee auf. Er schaut auf das Bild und sagt dann ohne ein sichtbares Zeichen von Interesse: „Das ist es. Das ist ein Mikrometeorit.“
Von diesem Tag an und noch mehr ab Sommer 2016, als Larsen beim Welttreffen der Meteoritical Society in Berlin seine Arbeit präsentieren darf und dafür furios beklatscht wird, nimmt die Welt Larsen ernst, sogar die NASA mit ihrem Spacedust Lab zeigt Interesse – erst recht, als Genge später das passende wissenschaftliche Paper publiziert. Dort steht schwarz auf weiß: „Die gemeldeten Partikel sind wahrscheinlich in den letzten sechs Jahren auf die Erde gefallen und repräsentieren somit die jüngsten bisher gesammelten großen Mikrometeoriten.“

Applaus für den Amateur
Dass der wissenschaftliche Laie Larsen, der im Sommer 2016 Staub zum Staunen nach Berlin mitgebracht hat, von Wissenschaftlern beklatscht wird, zeugt von Respekt für Fertigkeiten, die Larsen sich im Lauf seines Lebens angeeignet hat. Schon als Kind sammelt er Steine, in einer Bucht nahe Oslo, baut sich selbst ein Museum, interessiert sich für Geologie und für die Chemie dahinter, taucht stundenlang mit dem Mikroskop seines Freundes Markus in den Mikrokosmos ein.
Larsen beginnt neben dem Musizieren zu malen, lernt richtig sehen: Farben, Formen, Muster. Das hilft ihm später, seine Beute konzentriert zu sortieren. Er hat die Kreativität eines Künstlers, der weiß: Man entdeckt nichts Neues, wenn man nicht andere Blickwinkel ausprobiert. Und Larsen zitiert Einstein: Probleme kann man niemals mit derselben Denkweise lösen, durch die sie entstanden sind.
Der Amateur Larsen hat zudem das Sitzfleisch eines akribischen, professionellen Forschers: Er sucht immer die Wurzeln, fragt immer die mehr Wissenden und ist konsequent bis ins kleinste Detail. Ehrgeizig war er schon als junger Musiker: Um die Musik des damals bereits verstorbenen Django Reinhardt zu verstehen, lernt er Französisch, um dessen überlebende Zeitgenossen befragen zu können. Und um auf Dächern Staub einsammeln zu können, überwindet er seine Höhenangst, quasi im Selbststudium.
Kondensiert man seine Jagd nach Sternenstaub in einen Satz, dann in diesen: „Wir neigen dazu, zu denken, dass bereits alles entdeckt und erforscht ist, aber wir könnten nicht weiter danebenliegen mit dieser Vorstellung“, sagt Larsen.
Die richtige Arbeit beginnt also erst. Zum einen eignen sich etwa Vereinigungen wie die Citizen Scientists exemplarisch, weltweit möglichst viele Mikrometeoriten zu finden. Sternenstaub löst bei Menschen eine Art Dinosaurier-Effekt aus – mit garantierter Belohnung. Und natürlich können die kleinen Partikel vielleicht einige der großen Fragen beantworten, die wir uns heute stellen: Gibt es anderswo Leben? Und wie hat es auf der Erde begonnen?
Obwohl es unmöglich scheint, da beim Eintritt in die Atmosphäre hohe Temperaturen entstehen, wurden auf der Erde schon Mikrometeoriten gefunden, die unversehrte organische Moleküle enthielten, sagt Larsen, Aminosäuren und auch Wasser. Diese Funde haben damit die Perspektive verändert, was möglich ist und was nicht. Man weiß auch noch nicht, wie viele Jahre die Partikel tatsächlich zu uns unterwegs sind: 10.000 Jahre? 20.000? Länger? Beginnt ihre Reise, wie aktuell vermutet, im Asteroidengürtel außerhalb des Neptun, im Kuipergürtel? Noch weiter draußen in der Oortschen Wolke? Oder waren die Zeitreisenden gar Millionen Jahre unterwegs?
Manche ihrer Inhaltsstoffe, etwa Platin, lassen auf ein hohes Alter schließen. Doch auch die normalen Zutaten wie Eisen, Nickel und Magnesium können Überraschungen bergen, als Fingerabdruck einer fernen Galaxie.

Der Anfang der Reise
Das Konzert ist aus, nach drei Zugaben. Das Dokkhuset leert sich. Jon Larsen und seine Band verstauen Instrumente und Technik im Tourbus. Ein Bier noch, dann ab ins Bett. Morgen spielen sie in Volda, sieben Stunden Fahrt sind es dorthin, deswegen zieht Larsen heute nicht mehr mit Besen und Magnet los, um Staub aufzusammeln. Dabei hat er in der Straße vor dem Hotel, der Innherredsveien, vor Jahren spezielle grüne Sphärulen gefunden, nicht außerirdisch, aber hübsch. Insgesamt ist Larsen motivierter denn je. Schließlich braucht es Antworten auf die nächsten Fragen. Je mehr Menschen sich auf die Suche machen wie einst er, Larsen, desto eher gibt’s diese neuen Erkenntnisse. Wissenschaft ist Teamarbeit, so wie die Musik, und auch Amateure soll man ernst nehmen. Es geht immer um das Weitergeben der Fackel. Der ist es egal, wer sie trägt.
Das Buch zum Thema
Mehr zum Thema Mikrometeoriten finden Sie im Buch „Sternenjäger: Meine Suche nach dem Stoff, aus dem das Universum gemacht ist“ von Jon Larsen (Übersetzung: Ulrich Sonnenberg). Das Buch hat inklusive Bildteil 340 Seiten, kostet 22 Euro (als E-Book 16,99 Euro) und ist im Verlag Benevento erschienen.
So finden auch Sie Mikrometeoriten:

Diese Geschichte erschien erstmals im Terra Mater Magazin 1/2020.

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