Die Salzbrecher: Ein verlorenes Geschäft?

Gemächlich schaukelt schier endlose Karawane aus Kamelen und Eseln durch eine Kulisse, die nicht von dieser Welt scheint: Blendend weiß und von kristalliner Struktur ist der Boden der Ebene, die sich bis zum Horizont ausbreitet. Rein optisch könnte man den Untergrund auch für Packeis halten, wäre es nicht so heiß, dass das Atmen schwerfällt. Und wüsste man nicht, dass sich dieser Ort rund 120 Meter unter dem Meeresspiegel befindet.

Drei Tage schon ist die Karawane unterwegs, der Weg von Berahile am Fuß des äthiopischen Hochlands durch die Danakil-Wüste ist 75 Kilometer lang und beschwerlich, was gelegentlich am Wegesrand liegende Tierkadaver und -gerippe bestätigen. Doch jetzt hat der Trupp, eine Erscheinung wie aus einer biblischen Szene, sein Ziel erreicht: Die Dallol-Ebene, gelegen im Grenzgebiet zwischen Äthiopien und Eritrea, ist das größte Salzlager der Erde.
Auf einer Fläche von 6.000 Quadratkilometern hat sich hier eine gewaltige Kruste des Minerals gebildet, ihre Dicke wird auf ein bis drei Kilometer geschätzt. Das „weiße Gold“ ernährt die Bevölkerung seit Jahrhunderten – das Salz ist ihr größtes, weil einziges Kapital; sonst gibt die Gegend nicht viel her zum Leben.
Die Dallol-Ebene ist das größte Salzlager der Erde.

Mehr noch: Es grenzt an ein Wunder, dass hier überhaupt jemand leben kann. Die gemessenen Durchschnittstemperaturen sind die höchsten der Erde. Selbst in der Nacht wird es kaum je kühler als 30 Grad. Und unter der Sonne des Tages kann das Thermometer schon einmal auf 60 Grad klettern. Regen fällt praktisch nie. In der Region gibt es giftige Schlangen, etwa die Schwarze Mamba, die, so erzählen es Einheimische, „schneller ist als du laufen kannst“.
Touristen wird generell abgeraten, hierher zu reisen – immer wieder kommt es zu Überfällen von Guerilla-Gruppen, manche Straßen sind vermint. Darüber hinaus ist die Erdkruste in der Danakil-Senke dünner als anderswo, sie ist einer der wenigen geologischen Hot Spots dieses Planeten.

Das fügt der an sich schon recht unwirklichen Landschaft noch ein weiteres bizarres Element hinzu: höchst aktive Vulkane wie den Erta Ale, den 613 Meter hohen „rauchenden Berg“, in dessen Calderen sich Seen aus flüssiger Lava befinden – „das Tor zur Hölle“, wie die Einheimischen sagen. Oder den Dallol, der sich nur 30 Meter aus der gleichnamigen Salzebene erhebt: Aus seinen Erdspalten wabern Schwefeldämpfe und sprudeln 70 Grad heiße Salzwasserquellen, die aufgrund ihres mineralischen Gehalts auf dem Boden grelle Farben zurücklassen – von Weiß über Gelb und Grün bis Rot. Es ist, als könne man an dieser Stelle den Atem aus dem Inneren der Erde spüren – ergreifend und beängstigend zugleich.
Das Volk der Afar

Die Einzigen, die dieses lebensfeindliche Land seit jeher bewohnen, sind die Halbnomaden vom Volk der Afar. Stolze Typen sind es, geprägt von den herausfordernden Bedingungen: wild und wehrhaft, zäh und ausdauernd. Oben, im Hochland von Äthiopien sagen sie, dass man sich mit einem Afar besser nicht anlegt. Vielleicht hat ihnen die äthiopische Regierung deshalb weitgehende Autonomie eingeräumt; vielleicht aber auch, weil man den immer wieder einmal aufflammenden Separationsbestrebungen der geschätzt knapp über eine Million Menschen zählenden Minderheit das Wasser abgraben wollte.



Der Alltag der Afar ist eine über Generationen geübte Routine, er hat seinen produktiven Kern in den Salzebenen. Die Abbaumethode hat sich im Lauf der Jahrhunderte nicht wesentlich verändert: Zunächst schlagen Helfer vom Volk der Tigray – sie stammen aus dem äthiopischen Hochland – mit Äxten tiefe Furchen in den Boden. Dann nutzen sie die Hebelwirkung von etwa zwei Meter langen Holzstangen, um, angespornt von rhythmischen Gesängen und lauten Rufen, große Platten aus der Salzkruste zu brechen. Den Afar bleibt die anspruchsvollste Aufgabe vorbehalten: Mit dem Gadmo, einer Art Spachtel, schneiden sie gleichmäßige Ziegel (Ganfúr) aus den Salzplatten – zu vier, sechs und acht Kilo das Stück.
Erstaunlicherweise gelingt diese Übung ohne jedes Messgerät, bloß mit freiem Auge. Am Ende des Tages warten mannshohe Stapel an Salzblöcken darauf, auf Kamele und Esel gepackt zu werden. 120 Kilo kann ein Kamel schleppen, knapp die Hälfte ein Esel. Bei Sonnenuntergang macht sich die Karawane auf den Rückweg – tausende Tiere mit insgesamt etwa 300 Tonnen Salz auf ihren Rücken. Früher galten die Salzblöcke selbst als Währung (Amolé), heute werden sie auf den Märkten des äthiopischen Hochlandes, in Mek’ele, Wukro oder Agula, zu Geld gemacht. Zwischen 3 und 5 Birr bringt ein Kilo, das macht pro Kamel über den Daumen etwa 25 Euro.



Genug jedenfalls, um ein fein ausbalanciertes ökonomisches und soziales System am Laufen zu halten: Das Salz sorgt für den Lebensunterhalt der muslimischen Afar und ihrer Helfer, der christlichen Tigray, die Zusammenarbeit und die Verteilung der Erträge ist geprägt von gegenseitigem Respekt und dem Prinzip „leben und leben lassen“. Doch seit ein paar Jahren ist dieses empfindliche Gleichgewicht in Gefahr. Es hat sich nämlich herausgestellt, dass im Boden der Danakil-Senke ein noch ungehobener Schatz liegt: mindestens 100 Millionen Tonnen Kalisalze, umgangssprachlich Pottasche – eine Substanz, die als Grundstoff für hochwirksamen chemischen Dünger gebraucht wird.
Dazu kommt die Aussicht, dass sich der begehrte Rohstoff in der Danakil-Senke einfacher und kostengünstiger abbauen lässt als anderswo. Unterm Strich: ein Riesengeschäft, sowohl für Äthiopien als auch für internationale Bergbauunternehmen. Die äthiopische Regierung rechnet damit, innerhalb der nächsten zehn Jahre den Beitrag aus Rohstoffabbau für das Bruttoinlandsprodukt von gegenwärtig ein auf zehn Prozent schrauben zu können. Und Allana Potash, einer jener globalen Player, die im Wettlauf um die Hebung des Schatzes die Nase ganz weit vorn haben, stellt bereits eine beeindruckende Rechnung auf: Eine Million Tonnen Kalisalze könne man pro Jahr gewinnen, was, gerechnet auf 25 Jahre, einen Wert von 1,2 Milliarden Dollar ergebe.

Das Einzige, was den allgemeinen Goldrausch derzeit dämpft, ist die internationale Finanzkrise: Der Preis für Kalisalze ist in den letzten beiden Jahren um 50 Prozent abgestürzt; und Allana Potash scheiterte vorerst daran, die 642 Millionen Dollar Investitionskosten für die Danakil-Mine aufzutreiben. Wie es aussieht, wird das kanadische Unternehmen jetzt um knapp über 100 Millionen Dollar von dem israelischen Düngerkonzern ICL (Israel Chemicals Ltd.) übernommen, der das Projekt rasch vorantreiben will.

Die Voraussetzungen dafür sind gut: Die Abbaulizenz wurde im Oktober 2013 erteilt, inzwischen ist eine Asphaltstraße von Mek’ele hinunter nach Berahile gebaut worden, was die Fahrzeit von fünf auf drei Stunden reduziert hat. Weitere Straßen sind in Bau. Zwei Dörfer auf dem geplanten Minengelände wurden bereits umgesiedelt, die Regierung hat die Bereitstellung von 30 Millionen Kubikmeter Wasser pro Jahr zugesichert. Ende 2016 soll die Mine ihren Betrieb aufnehmen. Lastwagen werden dann die Kamele verdrängen, mit ihnen wird moderne Technik in die Danakil-Senke kommen. Und das Salzgeschäft der Afar wird wohl nie wieder das sein, was es einmal war.
Wie es Afrika zerreißt

Warum die Danakil-Wüste geologisch einer der spannendsten Orte der Welt ist. Auf der Landkarte sieht die Danakil-Wüste aus, als hätte eine außerirdische Macht ein gewaltiges Dreieck aus dem Massiv des äthiopischen Hochlands gefräst – deshalb wird der Landstrich gelegentlich auch Afar-Dreieck genannt. Doch die Ursachen für die Entstehung der Senke sind höchst irdischer Natur: An dieser Stelle treffen drei aktive Grabenbrüche aufeinander, an deren Rändern drei tektonische Platten auseinanderstreben – driften, wie der geologische Fachausdruck für diesen Vorgang lautet.
Der berühmteste der drei Gräben ist das East African Rift, der Ostafrikanische Grabenbruch, der von Syrien bis nach Mosambik reicht und als Wiege der Menschheit gilt, seit 1974 in der Danakil-Senke „Lucy“ gefunden wurde, das über drei Millionen Jahre alte Fossil eines Urahnen des Homo sapiens. Der geologische Prozess, der zur Bildung des Afar-Dreiecks und des Roten Meeres führte, begann vor 30 Millionen Jahren mit einem sogenannten Plume – einem pilzförmigen Kanal in das Innere der Erde, 800 Kilometer tief und 1.000 bis 2.000 Kilometer im Durchmesser, durch den Magma von unten an die Erdkruste drückte (davon gibt es bis heute etwa 20 bis 40 weltweit).

Der Afar-Plume hob die Landschaft zunächst an und brachte die tektonischen Platten der Gegend in der Folge durch ihr Eigengewicht ins Rutschen. Die Arabische Platte, zunächst fix mit dem afrikanischen Kontinent verbunden, trennte sich in den nächsten Jahrmillionen vom Nubischen Schild, es entstand ein langer Riss, der sich schließlich zum Roten Meer entwickelte. Gleichzeitig entfernte sich der Somalische Block in südöstlicher Richtung. Die mit diesen tektonischen Bewegungen verbundene Dehnung führte im Bereich des Afar-Dreiecks dazu, dass die Erdkruste immer dünner wurde und nach und nach einsank. Nur der Danakil-Block, eine Erhebung, die im Zuge beschleunigten Riftens aus der Danakil-Senke herausgerissen und Richtung Rotes Meer gezogen wurde, verhindert heute, dass die Tiefebene, die bis zu 125 Meter unter dem Meeresspiegel liegt, überflutet wird.
Aus geologischer Sicht ist die Danakil-Senke jedenfalls einer der spannendsten Orte der Welt. „Es ist das Herz der Plattentektonik“, schwärmt etwa Kurt Stüwe, Professor für Geologie an der Universität Graz, „der aktivste Bereich von allen.“ Derzeit bewegen sich die Platten etwa ein bis zwei Zentimeter pro Jahr auseinander, für geologische Begriffe eine geradezu atemberaubende Geschwindigkeit. Bei diesen Rahmenbedingungen ist es wohl keine große Überraschung, dass die Interaktion mit dem Erdinneren im Afar-Dreieck auch mittels vulkanischer Aktivitäten stattfindet: Es gibt eine ganze Kette von aktiven Vulkanen, von denen zwei besonders erwähnenswert sind.
Der Dallol erhebt sich auf einer Fläche von vier Quadratkilometern bloß 30 Meter aus der Salzebene und bietet durch seine geothermischen Aktivitäten ein unvergleichliches Schauspiel: Erhitztes Grundwasser steigt auf, reichert sich unterwegs mit Mineralien wie Salz und Schwefel an und kommt in Form von Geysiren an die Oberfläche. Das Wasser verdampft aufgrund der hohen Temperaturen sehr schnell, zurückbleiben Ablagerungen in ungewöhnlich leuchtenden Farben.

In der Sprache der Afar heißt Dallol übrigens „Auflösung“: noch Fragen? Der 613 Meter hohe Erta Ale hingegen, ein mächtiger basaltischer Schildvulkan, ist weltweit einer der wenigen Vulkane, die einen aktiven Lavasee haben. Der geologische Prozess ist selbstverständlich noch lange nicht abgeschlossen: Alles dreht sich, alles bewegt sich, sofern man nur Zeitmaßstäbe anlegt, die geologischen Dimensionen entsprechen.
Also: Mit einem weiterhin weiträumigen Absinken des Afar-Dreiecks ist in den nächsten Jahrtausenden zu rechnen, eines Tages wird das Rote Meer das Gebiet auch wieder fluten. In einem Zeitraum von zehn Millionen Jahren ab jetzt könnte der Ostafrikanische Graben so weit aufgerissen sein, dass er das Horn von Afrika vom Kontinent trennt und eine neue Insel entstehen lässt.
Diese Geschichte erschien erstmals im Terra Mater Magazin, April 2015

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