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Argentinien: Die Killerbohne

Soja wurde innerhalb weniger Jahre zu einem der wichtigsten Nahrungsmittelrohstoffe der Erde. Keine andere Frucht wird aufwendiger produziert. Und nirgendwo sind wirtschaftliche, politische, ökologische und soziale Folgen so dramatisch wie in Argentinien.
Text: Andreas Fink, Fotos: Eduaro Leal & Michael Rathmayer / 19 Min. Lesezeit
Soja Die Killerbohne bringt Landwirtschaft und Ökosysteme aus dem Gleichgewicht Foto: Michael Rathmayer
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Ohrenbetäubend ist diese Stille auf der überschwemmten Landstraße. Stahlblau spiegelt sich der Spätsommerhimmel über dem Wasser des nutzlos gewordenen Verkehrsweges. In der Ferne gleitet ein Kanu über die Ruta Provincial 3, Vögel sausen im Tiefflug über das Nass. Sie sind auf der Jagd nach Mücken, die in Schwärmen geschlüpft sind nach dem „Tsunami vom Himmel“.

Diese Metapher benutzte der Gouverneur der argentinischen Provinz Córdoba, ohnmächtig angesichts der Wucht jener Wolkenbrüche, die hier Anfang März binnen weniger Wochen eine Jahresregenmenge ausgossen. Doch das Bild ist schief: Denn dieses Wasser weicht nicht wie jenes der ozeanischen Monsterwellen. Erst Wochen später wird diese Landstraße wieder offen sein.

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Warum das so lange dauert? Kommt das davon, dass Teiche und Tümpel trockengelegt wurden, um noch mehr Ackerland zu gewinnen? Sind die immer größeren Traktoren, Sämaschinen und Mähdrescher schuld, die mit ihrem Gewicht die Erde zu Ton pressen? Oder liegt es daran, dass auf den Feldern dieses Jahr die gleiche Pflanze wächst wie letztes Jahr, wie vorletztes und vorvorletztes? Kurz: Dass Soja das Land verändert hat?

Soja wuchert. Großblättrig, langstielig, monochrom. Sind die Schoten reif, trocknen die Blätter aus. Die Ernte beginnt in der 14. Kalenderwoche. Fast zwei Drittel aller argentinischen Äcker sind diesen Sommer von Soja bedeckt, und hier, im departamento Unión, sind es vier Fünftel. Hier liegt das Herz des Soja-Landes Argentinien. Das giftgrüne Herz.

Glycine max, ein Gewächs aus der Unterfamilie der Schmetterlingsblütler, wird seit Jahrtausenden kultiviert. In Ostasien ist es eine traditionell wichtige Proteinquelle der Landbevölkerung. Doch längst wird die beige Bohne zu mehr als Tofu und salziger Sauce. Soja hat, trotz oder gerade wegen seines neutralen Geschmacks, Weltkarriere gemacht. Seine Derivate stecken in Margarine und Keksen, Speiseeis, Schokoriegeln, Fertiggerichten und sogar im Bier. Soja wird zu Biosprit und zu Tierfutter. Hühner, Rinder und Schweine fressen sich fett mit Sojaproteinen. Die Sojaschiffe, die am Río Paraná ablegen, bringen ihre Fracht vor allem nach Ostasien. Hier liegt der Auslöser für den Boom: Der Fleischkonsum in China wächst ebenso rasant wie die gesamte Wirtschaft. Das vervierfachte den Weltmarktpreis für Soja während der vergangenen 15 Jahre.

Soja Die Killerbohne bringt Landwirtschaft und Ökosysteme aus dem Gleichgewicht Foto: Eduardo Leal
22.000.000 Hektar Land wurden 2015 in Argentinien mit Soja bepflanzt. Das sind zwei Drittel des verfügbaren Ackerlandes.

Argentinien ist der drittgrößte Produzent der Hülsenfrüchte. 23,2 Milliarden Dollar brachten die Bohnen 2013 ins Land, das war mehr als ein Viertel (26 Prozent) der gesamten Exporterlöse. Weil Sojamehl, -öl und -körner in Dollar gehandelt werden, sind sie die wichtigste Devisenquelle des Landes. Zusätzlich erhebt Argentinien Exportzölle von mittlerweile 35 Prozent. So beschert Soja dem Fiskus zehn Prozent aller Steuereinnahmen. Soja bezahlt Sozialhilfe und Subventionen. Soja finanziert die Politik. Soja ist Macht.

Landwirten, die trotz des Nachteils der Exportsteuer am Weltmarkt mithalten wollen, bleibt nur eine Strategie: So viel wie möglich zu produzieren, und das so effizient wie möglich, so intensiv wie möglich. So verschwanden Teiche, Wälder, Weidezäune. Und es verschwanden Rinder, Hirten und Erntearbeiter. So mutierte die Pampa, jene so sagenhaft fruchtbare einstige Kornkammer der Welt, zur Soja-Fabrik. So wurde das Land, dessen politischer Spielraum von den Ernteerlösen abhängt, zur Soja-Republik.

I. ACKERBAU IN GROSSEM STIL

Der silbergraue Toyota-Pick-up bremst und biegt in eine Pinienallee. Vorbei an dem Haupthaus einer Estancia geht es durch die Ebene zwischen Feldern, die jetzt, im feuchtwarmen Frühling der zentralen Pampa, gierig austreiben müssten. Doch das Land ist kahl. Hunderte Hektar fruchtbaren Erdreichs liegen entblößt unter dem Himmel, kein Trieb, kein Halm, kein Kraut.

„Schön sauber, dieses Feld hier“, sagt Mauricio Zarate, der ingeniero agrónomo am Steuer des Geländewagens. „Sauber“ bedeutet: unkrautbereinigt. „Seht mal, dort hinten!“ Mauricio zeigt auf einen Traktor, der am Horizont langsam seine Bahnen zieht. Erst als das Fahrzeug am Feldrand wendet, werden die Teleskoparme zu beiden Seiten des Führerhauses sichtbar – und auch die Wolke, die es hinter sich herzieht. „Moskitos“ nennt der Volksmund diese Dinger, obwohl sie nicht saugen.

Sie spritzen Gift.

Soja Die Killerbohne bringt Landwirtschaft und Ökosysteme aus dem Gleichgewicht Foto: Eduardo Leal
Immer öfter schlägt die Natur zurück: Überflutete Sojafelder in der Region Monte Maiz. Der Boden kann das Regenwasser schwerer aufnehmen, weil ihn die Pestizide verhärten.

Unkrautzerstörer wie Flumetsulam, Atrazin, 2,4-D. Pilzvernichter mit klingenden Markennamen wie Opera, Stinger oder Amistar X. Und Insektengifte wie Cypermethrin, Chlorpyrifos und Methamidophos. Vor allem versprühen sie Glyphosat, das Mittel, das die Felder sauber macht. Das Mittel, von dem Argentinien abhängt wie ein Zuckerkranker von Insulin.

1974 erteilten die US-Behörden das Patent, und der Konzern Monsanto brachte das Produkt Roundup auf den Markt. Es wurde weltweit zum großen Erfolg. Denn es verheert alles, was wächst. Genauer: alles, was natürlich wächst.

Der Pick-up hält an einem Stoppelfeld. Am Wegrand parken zwei Geländewagen. „¡Buenas tardes!“, grüßen Vater Victor, klein, drahtig, schütteres Haar, und Sohn Marcelo, groß, füllig, schwarzer Schopf. „Unsere Firma macht hier die Aussaat“, sagt Victor und zeigt auf den gigantischen blauen Traktor, der eine knallrote Sämaschine über das Stoppelfeld zieht. Markenname: Monumental. Das Gespann hält an.

Landwirtschaft 2.0: Kein Platz für Sentimentalität

„Wir nennen das Saatzug“, erklärt Sohn Marcelo und zeigt auf eine der 24 Einheiten an dem Apparat. Jede funktioniert gleich: Eine gewellte Stahlscheibe reißt eine kleine Furche ins Erdreich, dann spritzt eine Düse Dünger ein. Danach folgen zwei glatte scharfe Scheiben, die einen fünf Zentimeter tiefen Schnitt setzten. Druckluft schießt in diese Ritze die Saatkörner, die im Abstand von wenigen Zentimetern zu liegen kommen. Direktsaat heißt diese Methode. Zuletzt schließen zwei weitere Scheiben den Schnitt wieder und bedecken die lachsroten Samen mit Erde.

Aber sind Sojabohnen nicht gelblich? „Schon, aber das sind ja keine gewöhnlichen Bohnen“, lächelt Mauricio, der Agronom. „Diese hier sind eingefärbt, weil sie mit Insektiziden und Fungiziden behandelt wurden.“ Die Saat ist giftig. Vor allem jedoch sind sie resistent gegen Glyphosat. 1995 vollzog Monsanto den großen Coup. Die Agrotechniker aus St. Louis, USA, setzten Sojakörnern ein Gen ein, das die Pflanze unempfindlich gegen das Pflanzengift macht. Sie nannten ihre Saat Roundup Ready – und sie ging auf. Heute sind fast 100 Prozent aller Sojakulturen Argentiniens gentechnisch verändert, und alle werden mit Glyphosat vor Unkraut bewahrt.

„Wollen Sie mitfahren?“, fragt der Maschinist. Drei Stufen hat die Treppe in den Führerstand des „New Holland“-Traktors, dessen Antriebsachse mit vier übermannshohen Reifen bestückt ist. Kommoder als die Kletterpartie ist die Kabine, mit Klimaanlage, Kontrollmonitoren und sogar Autopilot. „Nur die Wenden muss ich steuern“, sagt der Fahrer, ein untersetzter Dunkelblonder mit tiefblauen Augen. Binnen dreier langer Arbeitstage kann er allein das 400 Hektar große Feld fertig machen. Seinen Akkordlohn bezahlt Chef Victor, dem die Maschinen gehören. Er wiederum wurde angeheuert von einer Beraterfirma, die den Anbau auf hunderten Campos organisiert. Gebucht wird dieser Consultant entweder von den Landbesitzern oder von sogenannten Soja-Pools: Investoren, die Grundstücke mieten, um Ackerbau im großen Stil betreiben zu lassen. Ein Finanzgeschäft mit börsennotierten Rohstoffen, gesteuert aus klimatisierten Hauptstadtbüros. Über die Hälfte aller argentinischen Sojafelder werden inzwischen von nur drei Prozent der Produzenten bebaut.

Zwei Drittel aller Grundstücke werden von ihren Besitzern inzwischen vermietet – von 80 Hektar im Südosten Córdobas lässt es sich bequem in der Provinzhauptstadt leben, ohne frühmorgens aufstehen zu müssen. Obst- und Gemüseproduzenten gaben auf, chancenlos gegen die Spritzmittel in Wind und Regen. Tausende Milchproduzenten sperrten zu. Der traditionellen Landwirtschaft bleiben nur noch die Randgebiete, Flussinseln, Überschwemmungszonen und die Steppen Patagoniens. In der Fabrik Pampa ist kein Platz mehr für traditionelle Bauern.

II. EHRGEIZIGE PLÄNE

Buenos Aires, 6. September 2011: Der große Saal ist festlich geschmückt, Kerzenleuchter, edles Porzellan. An mehr als fünfzig Tischen verteilt sitzen Gouverneure, Gewerkschafter, Großfarmer. Dekane, Dozenten, Richter, CEOs von Pharma-, Chemie- und Automobilkonzernen. Im Saal verstreut, aber immer in Sichtweite der Live-T V-Kameras: eine transgene Kuh, hybride Orchideen, das neueste Modell des V W-Pick-ups Amarok sowie ein Schaf, das von der Präsidentin Cristina Fernández de Kirchner einst selbst per Mausklick geklont und nach gelungener Geburt auf den Namen „Victoria“ getauft wurde, zu Deutsch Sieg.

Ganz große Gala, um die Ernährungs- und Landwirtschaftsstrategie bis 2020 zu verkünden, ausgearbeitet von Universitäten, Gemeinden, Verbänden und Parteien. „Wir müssen dort Wert schöpfen, wo die Dinge hergestellt werden. Wir müssen die landwirtschaftlich geprägten Gebiete industrialisieren!“, spricht die Präsidentin, schwarzes Kleid, um den Hals ein Collier aus exklusiven Südseeperlen. Unter tosendem Applaus berichtet sie stolz, dass unter ihrer Ägide bereits 20 genveränderte Getreidesorten angepflanzt wurden, dass die Behörden jedes Jahr hunderte neue Anträge für biotechnologische Vorhaben prüfen und dass „schon hunderte und tausende Pflanzen geklont werden“.

Hoffnungsfroh verliest sie die Planziele: Bis 2020 sollen 46 Prozent mehr Rinder produziert werden, 88 Prozent mehr Geflügel und dreimal so viele Schweine. „Aber wissen Sie was: Ich denke, das ist ein bisschen konservativ! Die ganze Welt isst Schweine.“

Und Schweine fressen Kraftfutter, darum soll die gesamte Getreideproduktion um 60 Prozent wachsen. Mehr Mais, mehr Weizen, viel mehr Sonnenblumen, Reis und viel, viel mehr Soja.

Soja Die Killerbohne bringt Landwirtschaft und Ökosysteme aus dem Gleichgewicht Foto: Eduardo Leal
Soja-Silo in Monte Maíz: Wenn die Ernte eingelagert wird, weht feiner Staub über den aufgelassenen Bahnhof ins Ortszentrum.

III. DIE VERMESSUNG DES GRAUENS

Monte Maíz: 159 Straßenblocks, 8.000 Einwohner, Fassaden gepflegt, Alleebäume gestutzt, Kinderspielplätze sauber. Die Felder, die den Ort auf allen vier Seiten umschließen, sind bis zu 20.000 Dollar pro Hektar wert – zehnmal so viel wie nach dem Staatsbankrott 2001. An der Plaza die Kirche und die Tankstelle, an den Ortsrändern die Sportclubs Lambert und Argentinos; Letzterer hat sich vor ein paar Jahren ein achtstöckiges Hochhaus hingeklotzt, samt Fitnesscenter und Vereinslokal. Darin sitzen tagsüber Männer und schimpfen auf die Regierung.

Zeit haben sie genug, denn ihre Felder managen jetzt Soja-Pools. Über die Straßen radeln Kinder in ihren Schuluniformen, Autofahrer parken und lassen die Autos offen. Kriminalität sei kein Problem, versichert die Ortspolizistin. Armut auch nicht, bis vor kurzem herrschte Vollbeschäftigung. Monte Maíz könnte als perfekte Kulisse für jeden Wahlwerbespot dienen. Doch so einer wird nie gedreht werden. Denn dieses Dorf ist krank.

Es ist Montagabend, Jour fixe des örtlichen „Umweltschutznetzes“: 25 Nachbarn haben sich in einem Versammlungssaal in einer Ellipse zusammengesetzt, an deren schmalem Ende der Vortragende Platz nimmt: Diego Santos, diplomierter Landwirt, er handelt mit Düngern und Chemikalien, ein Mann vom Fach. Er beginnt seine Exposition mit der branchenüblichen Dialektik: Nicht die Spritzgifte seien das Problem, sondern deren falscher Gebrauch. Felder könnten sehr wohl besprüht werden, aber eben richtig dosiert und bitte nicht bei Wind. Die Sprühfahrzeuge sollten weiters außerhalb der Siedlung gewaschen und nicht mitten im Ort geparkt werden.

„Aber warum?“, fragt Diego Ceballos, ein kräftiger junger Mann mit pechschwarzem Haar. „Ihr Brüder habt uns doch immer erzählt, die Substanzen seien für Menschen überhaupt nicht bedrohlich!“ Der Baustoffhändler Ceballos hat sich dem Kreis angeschlossen, nachdem seine Frau ihr Kind – mit groben Fehlbildungen – im achten Monat verloren hatte. Er insistiert: „Jetzt mal ehrlich: Würdest du ein Glas Wasser mit Glyphosat trinken?“ Das sei unbedenklich, hat etwa der Landwirtschaftsminister der Provinz mehrmals behauptet.

„Natürlich nicht“, entgegnet der Agronom. „Aber ich würde es auf meinem Feld ausbringen, bedenkenlos!“

Die Menschen in der Runde werden ihre Ängste nicht los, seit um die Jahrtausendwende die ersten Leute im Ort Atemprobleme bekamen. Immer im Herbst, wenn die Silos im Ort randvoll sind und feiner Staub zwischen den Eukalyptusbäumen herniedergeht, husten die Kinder. Vielen juckt die Haut. Es mehrten sich Allergien und die sonst seltene Autoimmunerkrankung Lupus erythematodes. Immer mehr Frauen erlitten Abgänge oder gebaren Kinder mit Missbildungen. Und: Immer mehr Bürger bekamen Krebs, der noch dazu immer häufiger junge Menschen befiel. Was tun?

Ein paar Bürger versuchten, mit den Behörden zu sprechen, doch niemand wollte etwas hören. 2007 zogen sie von Haus zu Haus und fragten alle Nachbarn nach Krankheitsfällen. Sie zeichneten ihre Daten in einen Lageplan ein, wurden bei Gemeinde und Provinzregierung vorstellig – und ernteten bloß Schulterzucken.

Beinahe wäre die Bürgerinitiative an der Blockade der Behörden zerbrochen, wäre nicht die Nachricht aus Ituzaingó eingetroffen. Dort, in der Nähe der Provinzhauptstadt Córdoba, hatte eine Bürgerinitiative in einem jahrelangen Rechtsstreit durchgesetzt, dass im Umkreis von 1.500 Metern um den Ort nicht mehr gespritzt werden darf.

Erstmals erkannte die Justiz, dass agrotóxicos die Volksgesundheit gefährden können. Ermutigt nahmen die Bürger von Monte Maíz Kontakt mit dem in Ituzaingó aktiven „Netzwerk der Ärzte von besprühten Dörfern“ auf und brachten es fertig, dass Ende Oktober 60 Doktoranden und Studenten ihren Ort nochmals, jetzt nach den Regeln der Wissenschaft, Haus um Haus vermaßen und Proben von Boden, Wasser und Blut nahmen.

Wie einst die Bürger trugen nun auch die Fachleute die wichtigsten Krankheitsfälle in den Stadtplan ein: Sie setzten blaue Punkte für Erkrankungen der Atemwege. Und rote für Krebs. 159 Straßenblocks hat Monte Maíz. Und 147 haben mindestens einen Punkt in dem Plan, manche über zehn. In einem Block sind gar 19 Erkrankungen registriert worden. Er liegt direkt am Acker.

Auch bei Soja gibt es Gewinner und Verlierer

IV. TOD EINES MÄDCHENS

Auch das Haus der Familie Fuentes liegt am Feld. Auch ihr Block hat einen Punkt im Stadtplan, einen roten Punkt. Der steht für Antonella, gestorben im März 2014, kurz vor ihrem 7. Geburtstag. Im Vorgarten stapeln sich Gerätschaften, neben dem Gebäude parkt ein altes Auto, dessen Fahrbereitschaft zweifelhaft ist. „Bitte entschuldigen Sie die Unordnung“, sagt Vater Claudio, „aber, ganz ehrlich, wer so viel erlebt hat wie wir, setzt andere Prioritäten.“

Zwei Jahre lang galt die einzige Sorge der Familie ihrer sterbenden Tochter. Zwei Jahre lang bangte die Familie in der Kinderklinik in Córdoba, die Eltern wechselten einander ab bei den Tag- und Nachtwachen. Als drei Monate nach der Erstdiagnose Metastasen in der Lunge entdeckt wurden, war klar, dass das Mädchen das Osteosarkom nicht besiegen wird.

In ihrer Wohnküche hat die Familie auf der Kühltruhe einen Gedenkschrein aufgebaut. Eine rote Tischdecke, darauf Fotos von Antonella, eines zeigt sie lächelnd im Kommunionskleid, eine weiße Mütze bedeckt den kahlen Kopf. Ein anderes mit einem der Clowns auf der Krebsstation das Mädchen mit Perücke, ihr Gesicht aufgedunsen von den Medikamenten, ihr fällt der Versuch zu lächeln sichtlich schwer. In der Mitte der Truhe, in einem aufrechten Glasbehälter, den Vater Claudio anfertigte, Antonellas Zopf. „Sie bat mich, das aufzubewahren, als ihre ersten Haare ausfielen“, erzählt Mutter Antonia. Gemeinsam gingen sie zur Friseurin im Dorf, und diese flocht den vollen Schopf. Er ist das, was von Antonella übrig bleiben sollte. „Sie war so stark, oft erstaunte sie uns mit ihrer Kraft“, erzählt die Mutter. Einmal, in der Klinik, sagte die Sechsjährige ernst, aber vollkommen ruhig: „Mama, die müssen mir das Bein abnehmen.“ Es hatte alles keinen Sinn.

Was Antonellas Organismus dazu brachte, diesen hochaggressiven Tumor zu bilden, kann niemand mit Sicherheit sagen. Erbliche Belastung liegt vor, beide Eltern der Mutter erlagen Krebsleiden. Aber vielleicht war es ja auch das Feld gegenüber. Natürlich hat die Familie überlegt, wegzuziehen, aber dann verwarfen sie die Gedanken wieder. Antonia erwartet wieder ein Kind.

Claudio erinnert sich noch genau an die ersten Sätze der Chefärztin in Córdoba: „Ihr seid vom Land, oder? Solche schweren Fälle bekommen wir immer aus den Dörfern.“

Die Bohne, die allgegenwärtig ist

V. DER ÜBERZEUGTE BAUER

Daniel Montechiari, Nachfahre italienischer Einwanderer, die vor hundert Jahren nach Córdoba zogen, hat mit Arbeit und Disziplin einen sehr respektablen Betrieb aufgebaut: 25 Angestellte, eine Molkerei und 1.500 Hektar Ackerland. Seine Firma residiert in einem umgebauten alten Eckhaus im Ortszentrum von Monte Maíz, seine beiden Söhne Rodolfo und Fernando arbeiten voll mit.

Montechiari gehört zu den größeren Produzenten in dieser Gegend. In kurzärmeligem Karohemd nimmt er Platz an seinem Schreibtisch im neonbeleuchteten Büro, nicht mal ein Fenster leistet sich der 72-jährige Patrón. Dass Spritzmittel die Leute krank machen, glaubt er nicht, das sei „bloß dummes Zeug“. Schuld wäre nur das Arsen im Wasser. Trotzdem mag er Soja nicht. „Wissen Sie was? Ich würde viel lieber Weizen und Mais anbauen. Aber diese Regierung zwingt mich dazu, diese scheußlichen Schoten zu pflanzen.“

Lange hatten lukrative Getreideausfuhren billiges Brot daheim finanziert. Als 2006 die Backwaren teurer wurden, verbot die Regierung den Weizenexport, was den Brotpreis erst einmal einstampfte. Doch heute kostet ein Dutzend Kipferl sechsmal so viel wie vor der Exportsperre, weil wegen des Preisverfalls viele Landwirte ihr langjähriges Premiumprodukt nicht mehr kultivieren wollen. „Es ist erbärmlich: Weizen von hier gehört zum besten auf der Welt, aber wir verfüttern ihn an unsere Kühe. Glauben Sie mir: Das einzige Produkt, das noch ein bisschen was bringt, ist Soja.“

Doch selbst diese Renditen schwinden. Weil in aller Welt immer mehr Soja wächst, sinken die Preise. Etwa 350 Dollar kostet eine Tonne derzeit an der Getreidebörse von Chicago, für die vorige Ernte gab es noch 500. 2012, nach einer Missernte in den USA, erreichte sie gar 650.

Im Oktober wird gewählt, und die Verfassung erlaubt Cristina Kirchner keine Wiederwahl. Daniel Montechiari hofft, wie alle Landwirte, auf eine Wende. Alle drei aussichtsreichen Kandidaten haben bei ihren Reisen ins Landesinnere versprochen, Exportverbote und Ausfuhrzölle zu revidieren. In der Hoffnung auf neue Zeiten horten viele Produzenten die Ernten der letzten Jahre in gigantischen Plastikwürsten auf den Feldern. Neun Lastwagenladungen Körner passen in so ein „Tütensilo“. „Viele hier können das Ende nicht mehr erwarten“, sagt Daniel Montechiari.

Das ist dummer Zeug.

Daniel Montechiari, Großbauer und Molkereibesitzer, zur Gefährlichkeit von Spritzmitteln.

Für ihn persönlich könnte die Zeit freilich knapp werden. Auch ihn hat nämlich der Krebs erwischt – am Darm, schon zwei mal musste er operiert werden. Und Anfang 2015 erkrankten sein Sohn, sein Neffe und dessen Frau, alle drei sind um die 40.

Zum Abschied erzählt Montechiari noch: „Wissen Sie, mein Bruder besitzt eines der Felder direkt am Ortsrand. Dort will die Gemeinde jetzt die Pestizide verbieten.“ Nachsatz: „Das wäre eine Katastrophe für uns!“

VI. EIN LAND WIRD MENSCHENBEREINIGT

„El Colorado durchlebt ein rapides Wachstum aufgrund der Sojaproduktion in der Gegend.“

Der Wikipedia-Eintrag vermittelt den Eindruck, dass es irgendjemand sehr gut gemeint hat mit diesem Flecken am Ostrand der Provinz Santiago del Estero. Ein paar staubige Längsstraßen hat El Colorado und ein paar staubige Querstraßen. Zwei Krämerläden, eine Fleischerei – und jeden Sommer klettert die Temperatur auf mehr als 50 Grad.

Marta Ibarra und Victoria Ybarra leiten gemeinsam die Escuela No. 539 de la Patria, die

Schule auf der Plaza, 235 Kinder inklusive Kindergarten. Victoria kommt gleich zur Sache: „Soja ist ein Desaster. Das Zeug macht uns krank, es macht uns traurig und es raubt uns die Arbeit!“ Aber wieso? Lebt der Ort denn nicht prächtig vom Sojaanbau? „Nein, El Colorado lebt von der Sozialhilfe“, antwortet Marta Ibarra. Und Victoria Ybarra ergänzt: „Früher, als hier noch Baumwolle wuchs, arbeiteten ganze Familien auf den Feldern, auch die Kinder halfen mit. Heute säen Maschinen, spritzen Maschinen und ernten Maschinen.“

Die Menschen hingegen warten auf Geld vomStaat. In dem 40-Millionen-Einwohner-Land erhalten rund 18 Millionen Bürger Beihilfen, Stützen, Notgroschen, 100 bis 300 Euro pro Monat. Das Geld für diese Sozialprogramme bringt Soja ein. Mobilisiert das die Massen? Mitnichten: Bei der letzten Wahl bekam die Regierungspartei hier fast 80 Prozent der Stimmen.

Vor 15 Jahren wohnten die Einwohner der Gegend auf kleinen Grundstücken im Wald, züchteten ein paar Kühe, Ziegen, Schweine und Hühner, die alle frei herumliefen. Kürbisse wachsen hier gut und Wassermelonen. Damit kam man durchs Leben. „Aber als die Sojabarone hier aufkreuzten und den Leuten vom Fortschritt vorsangen und von DirecTV“, analysiert Marta Ibarra, „da haben sich viele gedacht: Vielleicht ist das besser für meine Kinder. Nun müssen sie erkennen, dass sie für nichts mehr gebraucht werden. Die Tiere sind geschlachtet, und der Wald ist verheizt, nicht einmal Gemüse kann man hier mehr anbauen, weil das 2,4-D alles zerstört. DirecTV können sie nicht mehr bezahlen, und die Kinder werden mit Gift besprüht.“

Die Flugzeuge spritzen über dem Dorf? „Mehrfach ist das passiert. Die Äcker auf allen vier Seiten gehören dem gleichen Unternehmer. Wir sitzen in der Mitte“, sagt Marta Ibarra.

Und die Jungen, was werden die machen, wenn sie die Schule fertig haben? „Sie werden wegziehen müssen. Das Soja lässt ihnen nichts, und wenn eines Tages kein Soja mehr wächst, dann ist das da draußen Wüste“, sagt Victoria Ybarra.

Hunderttausende sind schon weg. Argentinien ist flächenmäßig das achtgrößte Land der Welt. Aber 38 seiner 40 Millionen Menschen wohnen inzwischen, vielfach sehr beengt, in Städten. Das Land wird ausgeleert. Menschenbereinigt.

Es gehört zu den großen Widersprüchen des Landes, dass just in den Jahren des Booms die Elendsviertel förmlich explodierten. El Gran Buenos Aires, jener vor allem aus Armenvierteln bestehende Siedlungsgürtel um die Metropole, wuchs zwischen 2001 und 2010 um mehr als eine Million Menschen. Auch um Städte in den Soja-Provinzen wie Paraná, Santa Fé oder Resistencia haben sich Hoffnungslose in Slums angesammelt, während in den Stadtzentren, finanziert mit Soja-Millionen, Hochhäuser mit üppigen Balkonen und Pools auf dem Dach in den blauen Himmel wuchsen.

Soja Die Killerbohne bringt Landwirtschaft und Ökosysteme aus dem Gleichgewicht Foto: Eduardo Leal
Marta Ibarra und Victoria Ybarra. Die beiden leiten die Schule von El Colorado und beklagen, dass Flugzeuge die Schulkinder mit Gift besprüht hätten. Die argentinischen Behörden widmen sich dem Problem nur zögerlich.

VII. KAHLSCHLAG FÜR DEN PROFIT

Der Himmel über Santiago del Estero ist tatsächlich fast immer blau, was eines der großen Probleme dieser weiten und ebenen Landschaft ist. Hier kann es passieren, dass jahrelang kaum Regen fällt. „Santiago ist eine große Lotterie“, sagt ein Agro-Konsulent aus Córdoba. „Dort kannst du in zwei Jahren steinreich werden. Aber die nächste Dürre nimmt dir alles wieder weg.“ So eine Zockerei ist nichts für Kleinanleger.

Die Felder entlang der zerschundenen Asphaltstrecke hinter El Colorado sind teilweise 15 Kilometer lang. Der Zustand der Straße verrät: Lastwagen und Landmaschinen sind ebenso überdimensioniert wie die Anbauflächen. Spritzfahrzeuge mit bis zu 40 Meter Spannweite, 15 Meter breite Mähdrescher. Zuletzt surren immer mehr Drohnen durch die Luft, mit denen die Grundbesitzer vom Laptop in Buenos Aires aus ihre Felder in Santiago überwachen können.

Im Kilometerabstand sind Baumgruppen zu sehen, die offenbar die Winde bremsen sollen. „Vorhänge“ sagen die Menschen hier zu diesen schmählichen Resten des Urwaldes, der einst fast die gesamte Provinz bedeckte. Zwischen 1998 und 2013 wurden in der armen Provinz 1.672.610 Hektar Urwald gefällt, eine Fläche, größer als die der österreichischen Steiermark. In sämtlichen Provinzen des Nordens – alle arm und alle beherrscht von Clans – verschwindet das stachelige Dickicht aus quebrachos, algarrobos und ceibos. Die Bäume mögen Hitze und Trockenheit trotzen können, aber nicht der Gier der Spezies Mensch. Die offizielle Diktion hat ihren Terminus für den Kahlschlag: „Vorantreiben der Agrargrenze“.

Als Néstor Kirchner 2003 Präsident wurde, zählte Argentinien 23 Millionen Hektar Ackerfläche. Heute sind es 32 Millionen. Auf 22 davon wuchs diesen Sommer Gensoja, ein neuer Rekord. Im Osten Santiagos kreuzten die ersten Agrarbarone schon in den Sechzigerjahren auf und präsentierten den Kleinbauernfamilien, die seit Jahrhunderten in den Wäldern lebten, Eigentumstitel, die irgendein Beamter in der Provinzhauptstadt unterschrieben hatte. Den Ureinwohnern, oft Analphabeten ohne Zugang zu Rechts- und Sozialsystemen, blieb nur der Weg zu Anwälten, die sie ebenfalls ausnahmen.

Die Leute wurden umgesiedelt, der Wald gerodet und Baumwollfelder angelegt. Diese Form der Landgewinnung hält bis heute an – mit einer Variation: Dank Soja ist jetzt viel mehr Geld im Spiel. Für die Unternehmer, für die Katasterbeamten. Und für die Richter, die den Argumenten der neuen Grundherren meist folgen.

„Bieg da links ein!“, sagt Paulo Aranda, der auf der Rückbank mitfährt. Er hat seine Flinte mitgenommen, man weiß ja nie. Auf dem Feldweg warten zwölf Gestalten – Jeans, Sportschuhe, Baseballkappen. Männer mit pechschwarzen Haaren und den indigenen Gesichtszügen des Nordens. „Keine Angst, das sind unsere Leute“, sagt der Mann mit dem Gewehr. Was hier ansteht, ist eine Ortsbesichtigung. Es geht um ein Terrain von 4.000 Hektar. Um den neuen Besitz des Getränkefabrikanten Orlando Cañido aus Buenos Aires. Oder die angestammten Gründe der Guaycurú, je nach Perspektive.

Der Blick vom Feldweg zeigt ein Desaster: hunderte Hektar Urwald, zerfurcht von Planierraupen, die Schneisen gefressen haben in das, was die Menschen der Region als ihr Weideland betrachten. Die Wunden sind noch frisch, es riecht nach Harz. Seit Jahren köchelt dieser Disput, doch nun hat ein Richter das Land dem Unternehmer zugeschrieben. Der kreuzte postwendend auf, mit 15 Pistoleros im Gefolge, und ließ das Areal einzäunen. Dann rückten die Raupen an. Wird diese Konfrontation weitergehen, bis die ganze Provinz kahlgeschlagen ist? Noch stehen riesige Waldflächen in den zwei nördlichen Departements Alberdi und Copo. Und genau dorthin hat sich der Konflikt um die Flächen inzwischen verlagert. Immer wieder gibt es Tote.

Wo endet der Ehrgeiz auf, wo beginnt die Gier?

VIII. DER VERHINDERTE AUFDECKER

Nicht dass er es nicht versuchen würde. Jede der Geschichten, die Darío Aranda recherchiert, bietet er auch „Página/12“ an, dem in Buenos Aires erscheinenden Blatt, das immer wieder mit der deutschen „taz“ verglichen wurde. Doch seit die Regierung begann, dort großzügig Werbung zu schalten, erscheinen Darío Arandas Artikel in bescheidenen Online-Nischen oder dem Blatt der kritischen Gewerkschaft CTA.

Dort publizierte er im Jänner 2015 einen Text über die nationale Bioethikkommission Conabia, die seit 1991 tagt. Dieses Gremium entscheidet gemeinsam mit dem Landwirtschaftsministerium über die Zulassung von gentechnisch manipuliertem Saatgut. Niemand wusste, wer in dem Gremium sitzt. Der Reporter bekam eine Namensliste zugespielt und recherchierte: „47 Mitglieder hat die Kommission. 27 davon sind Angestellte der großen Saatguthersteller oder Wissenschafter, die für diese Firmen geforscht haben. Das heißt: Die Firmen, die hier genveränderte Saaten ausbringen, genehmigen sich das selbst.“

Keines der großen argentinischen Medien wollte die Aufdeckung publizieren. „Soja ist kein Thema. Denn es betrifft alle, die in diesem Land Geld und Einfluss haben“, erklärt Darío Aranda. Die Besitzer aller großen Medienkonzerne sind beteiligt an Soja-Pools oder besitzen große Ländereien. Vom Soja-Boom profitieren Fahrzeug- und Maschinenbau, Chemie- und Pharmaindustrie.

Die politische Opposition wettert gegen die Ausfuhrzölle und Sozial-Subventionitis. Aber am „modelo sojero“ hat sie nichts auszusetzen.

Gefährlich ist das Leben am Rande des Ackers

IX. EINE BRISANTE STUDIE

Es gibt genau eine gute Nachricht: Das Wasser im Dorf Monte Maíz ist exzellent. Die Mediziner, Geografen und Biologen, die an diesem Samstagnachmittag im Gemeindesaal das Ergebnis ihrer Feldstudie präsentieren, konnten im Trinkwassernetz kein krebserregendes Arsen finden. Doch alles andere, was die Wissenschafter heute den 200 interessierten Bürgern vortragen, bestätigt: Monte Maíz ist krank.

Die Krebsrate liegt mit 707 Fällen auf 100.000 Einwohner höher als das Dreifache des argentinischen Durchschnittswerts. Der Anteil der unter 44-jährigen Patienten ist mit 21,6 Prozent fast doppelt so hoch wie in der gesamten Provinz. Mehr als die Hälfte aller Kinder unter acht Jahren hat Probleme mit den Atemwegen. Und die Rate der Fehlgeburten liegt mit 9,9 Prozent dreimal so hoch wie der nationale Durchschnittswert.

Einige dieser Resultate waren bereits vorher durchgesickert, darum bekam der Bürgermeister täglich Anrufe, die Präsentation abzublasen. Das sei verheerend für den Ruf des Ortes. Wer wolle denn dort noch investieren?

Schon nach der Erhebung bekrittelten Industrie und Provinzregierung die Methodik der Studie. Kurz vor der Präsentation distanzierte sich der Dekan der medizinischen Fakultät der Universidad de Córdoba von der Untersuchung, dabei hatte er sie zunächst unterstützt. Und Anfang Mai hieß es, der Untersuchungsleiter solle überhaupt von der Uni suspendiert werden.

Das erinnert an den Fall des Molekularembryologen Andrés Carrasco: Der renommierte Forscher hatte 2009 nach Tierversuchen publik gemacht, dass Glyphosat Krebs auslösen kann. Danach wurde er geächtet. Auf Befehl des Forschungsministers sollte der Ethikrat der Universität von Buenos Aires den Wissenschafter ausschließen. Der Plan misslang nur deshalb, weil der Brief des Ministers an die Öffentlichkeit kam. Letzterer ist übrigens bis heute im Amt.

Acht Tage vor der Präsentation in Monte Maíz war es die Weltgesundheitsorganisation WHO, die Andrés Carrascos Ergebnis bestätigte. Nach mehreren Langzeitstudien in den USA, in Kanada und Schweden erkannten die Forscher: Glyphosat wirkt für den Menschen höchstwahrscheinlich krebserregend. In Monte Maíz zirkulieren pro Jahr 600.000 Liter von der Substanz, so die Studie. Das Herbizid steckt im Boden und im Staub und auf dem Müllplatz, wo die leeren Kanister landen. Der höchste Wert wurde auf den Grünanlagen der Plaza gemessen, auch die Stadtgärtner machen offenbar üppig Gebrauch von dem Gift, das sauber macht.

Und nun?

Die Bürgerinitiative hat einen Anwalt gebeten, Veränderungen in der Gemeindeverordnung wasserdicht zu formulieren. Die „Moskitos“ sollen verschwinden aus dem Dorf; die Spritzgifte, die Silos müssen umziehen; und es ist geplant, die Felder der Umgebung zu bewalden, um die Winde abzuhalten. Das Thema wird sicher vor Gericht landen. Schließlich geht es um 65.000 Hektar bestes Ackerland. Also um viele Millionen Dollar. Und es geht um das Wirtschaftsmodell Soja.

Kein nationales Medium hat über Monte Maíz berichtet.

Diese Geschichte erschien erstmals im Terra Mater Magazin 4/2015

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