Pamir: Hochzeit im Hochland

Feuer knistert in der Mitte der Jurte. Über den Flammen baumeln Kochkessel, und darin brodelt und blubbert alles, was ein Festessen braucht: Fleisch, Milch und Tee. Rund ein Dutzend Frauen wirbeln herum, um zu kochen, zu putzen und die Kinder in Zaum zu halten. Sie haben alle Hände voll zu tun, sind doch rund hundert Gäste zu verköstigen.
Vor der Jurte geht es nicht weniger bunt zu. Männer lachen lauthals, Frauen schwatzen vergnügt, Kinder hüpfen kichernd herum. Das eifrige Treiben und die ausgelassene Stimmung haben einen Grund: Heute heiratet die 16-jährige Bakhtigul ihren Bräutigam Khalmohamad. Beide gehören der kirgisischen Minderheit Afghanistans an. Der Schauplatz: die Jurtensiedlung Arqunuk, auf rund 4.000 Meter Seehöhe gelegen, am südlichen Rand des Pamirs.
Der Pamir ist jenes Hochgebirge, das im Nordwesten an den Himalaya anschließt. Er ist ungefähr so groß wie Bulgarien, die höchsten Gipfel ragen über 7.500 Meter in den Himmel. Die Länder Kirgisistan, China, Afghanistan und Tadschikistan haben unterschiedlich große Anteile an dem Massiv, wobei der Verlauf der Landesgrenzen wenig mit der kulturellen Zugehörigkeit der Bewohner zu tun hat. Und so leben eben auch rund 1.500 Kirgisinnen und Kirgisen im afghanischen Teil des Pamir.
Und dann kommt die Braut
Das zweite Heim der Brautfamilie, ebenfalls eine Jurte, bietet ausreichend Platz. Über dreißig Frauen und Kinder schwirren durch dieses Zelt, auf der Suche nach einem Sitzplatz. Tücher werden ausgebreitet, und jeder bekommt eine Tasse Tee. Dann betritt die Braut die Jurte. Eingehüllt in schwere Stoffe huscht sie gleich hinter einen roten Vorhang, der an zwei Holzstangen befestigt wurde. Hier, abgetrennt von der Gästeschar, nimmt sie mit ihren engsten Vertrauten Platz.

Bakhtigul mit ihren 16 Jahren keine besonders junge Braut mehr. Mädchen heiraten hier traditionellerweise im Alter zwischen 14 und 16, Burschen zwischen 18 und 20 Jahren. Eine geeignete Partie zu finden ist für die Eltern eine Herausforderung: Beide Brautleute sollen Kirgisen sein und beide sollten über den gleichen sozialen Status verfügen. Und natürlich dürfen die beiden nicht nahe verwandt sein.
Das hat früher die Zeremonie Jeti Ata („Sieben Vorfahren“) verhindert. Dabei wurden die Namen der Vorfahren bis in die siebente Generation laut vorgetragen. Entdeckten die Familien dabei gemeinsame Ahnen, war die Hochzeit geplatzt. Heute ist die kirgisische Bevölkerung aber so gering, dass bei der Betrachtung von sieben Generationen fast alle zumindest weitläufig miteinander verwandt sind.



Jenseits des Flusses, auf der anderen Seite des Tals, wirbelt Staub auf. Hier sind die Männer unter sich. Reiter haben mit ihren Pferden ihre Positionen eingenommen. Eine Hochzeit ist ein schöner Anlass für eine Runde Buzkashi. Am Spielfeldrand bin ich die einzige Frau. Die Männer galoppieren mit ihren Tieren hin und her, als ob es kein Morgen gäbe. Einer hält in der einen Hand die Zügel seines Pferdes und in der anderen die Buz, die Ziege. Oder vielmehr den leblosen Rumpf von ihr. Wörtlich übersetzt heißt Buzkashi „Ziegengreifen“: Wer es schafft, die Buz in einen Steinkreis – den „Kreis der Gerechtigkeit“ – zu werfen, hat gewonnen.
Die Schlacht um die Buz
Die anderen Reiter behalten den Mann mit der Ziege immer im Auge. Als er die Buz fallen lässt, beginnt das Getümmel. Jeder versucht, sich am anderen vorbei zur Buz vorzudrängen. Der Geschickteste setzt sich schließlich durch. Tief beugt er sich vom Pferd und reißt den Ziegenkörper in einem Schwung in die Höhe. In Windeseile steuert er auf das Ziel hinzu, und schon landet die Buz im „Kreis der Gerechtigkeit“. Die Zuschauer schreien sich die Seele aus dem Leib. Die Schlacht ist geschlagen, der Sieger steht fest.
Tief beugt er sich vom Pferd und reißt den Ziegenkörper in einem Schwung in die Höhe.



Später, in der Brautjurte, versammeln sich die Frauen abermals, um Tee zu trinken. Von Zeit zu Zeit schlüpfen Bakhtiguls Cousinen hinter den Vorhang, wo die Braut verhüllt von einer schweren Decke immer noch sitzt und wartet. Während die Cousinen immer wieder davonhuschen und zurückkehren, bleibt Bakhtiguls gleichaltrige Schwester Gulnura unbeirrbar an ihrer Seite. Immer wieder zaubert sie ihr ein Lächeln ins Gesicht, dann scheint Bakhtigul für Augenblicke die Anspannung zu vergessen.
Bräutigam hoch zu Ross
Dann ist es so weit. Zwei Frauen lösen den Vorhang von den Holzstangen und umhüllen damit die Braut, ihre Schwester und eine der Cousinen. So werden die drei aus der Jurte geführt. Vor dem Zelt liegt schon ein Teppich bereit. Die drei nehmen Platz, das rote Stofftuch immer noch über sich. Da nähert sich eine Handvoll Männer. Der junge Mann auf dem Pferd ist Bräutigam Khalmohamad. In der einen Hand hält er einen Teller voller Bonbons. Direkt vor der Jurte macht er halt, steigt aber nicht vom Pferd, sondern beginnt zu singen. Hie und da wirft er eines der Bonbons in Richtung seiner Zukünftigen.

Die Familie des Bräutigams musste tief in die Tasche greifen, um die Eheschließung zu ermöglichen. Der Brautpreis, Kalyng, betrug 100 Schafe, so viel können nur wenige Familien stemmen. Khalmohamad hatte also Glück.
Nach wenigen Minuten endet das Lied, und die Zeremonie ist vorbei. Die Männer ziehen samt Bräutigam davon. Wieder eingehüllt in den Vorhang führen zwei der Frauen die Braut zurück in den hinteren Teil der Jurte. Erst am Abend soll der Bräutigam wiederkehren, diesmal für immer. Und von da an werden Bakhtigul und Khalmohamad das Leben im harschen Hochgebirge gemeinsam meistern.
Diese Geschichte erschien erstmals im Terra Mater Magazin 2/2021.

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