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Mooslechners Merkwürdigkeiten: Tiefenentspannung

Als Terra Mater Kolumnist Markus Mooslechner jüngst Neues über das Brutverhalten von Kraken las, kroch er umgehend in ein Marmeladenglas und verschloss von innen den Deckel, um seine Schamesröte zu verbergen.
Text: Markus Mooslechner, Fotos: Markus Mooslechner / 2 Min. Lesezeit
Terra Mater Kolumne Mooslechners Merkwürdigkeiten Foto: Edmondlafoto/Pixabay
Neues aus der Welt der Kraken – und was wir daraus lernen sollten.
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Im April 2007 taucht ein Roboter eines Forschungsteams durch den Monterey-Tiefseegraben vor der Küste von San Francisco. Der Graben ist in etwa so groß wie der Grand Canyon und eine Art Schlaraffenland für Wissenschaftler: Wenig bis nichts ist über das Unterwassergebirge bekannt. In rund 1.500 Meter Tiefe stoppt das Boot: Die Bordscheinwerfer hatten eine Krake aufgescheucht. Ein beiläufiger Moment, der Geschichte schreiben wird.

Meine erste Begegnung mit einer Krake hatte ich in meiner frühen Kindheit. Ein gigantischer Cephalopode von geschätzt acht Meter Länge hing angsteinflößend über mir und drohte jeden Moment herunterzustürzen (von der Decke in der Haupthalle des Hauses der Natur in Salzburg). Mir war damals klar, dass dieses Exemplar im Todeskampf mit seinen Peinigern mindestens ein ganzes Schiff samt Besatzung zum Meeresgrund befördert haben muss. So wird es wohl gewesen sein.

Das Brutverhalten von Tiefseekraken?

Als die Forscher die Krake finden, sitzt sie auf einem Felsvorsprung, umringt von daumennagelgroßen Eiern. Genau 160 sind es, die sie mit dem für ihre Spezies legendären Geschick sorgfältig unter ihrem Körper verteilt hat. Die Forscher werden neugierig. Über das Brutverhalten von Tiefseekraken ist so gut wie nichts bekannt. Sie beschließen wiederzukommen.

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Die Krake sitzt immer noch an Ort und Stelle und pflegt ihren Nachwuchs. Am Fuße des Felsvorsprungs häufen sich Leichenteile.

Markus Mooslechner, Terra Mater

Hinreichend erforscht ist, was vor dem Eierlegen passiert. Ein Schäferstündchen bei Kraken funktioniert in etwa so: Zwei mal acht Arme umschlingen einander, das braucht nicht viel Fantasie. Geht es dann zur Sache, holt das Männchen ein Samenpaket hervor und deponiert es in einer Art Stauraum im Körper des Weibchens. Fühlt sich dieses, Tage oder Wochen später, bereit für Nachwuchs, holt sie das Päckchen aus dem Schrank und befruchtet sich selbst. Damit beginnt eine der heroischsten Episoden in der Geschichte des Lebens.

Die Forscher kehren zurück. Die Krake sitzt immer noch an Ort und Stelle und pflegt ihren Nachwuchs. Hin und wieder wehrt sie hungrige Krabben ab. Am Fuße des Felsvorsprungs häufen sich Leichenteile.

Die letzte Mahlzeit ihres Lebens

Was die Forscher zu diesem Zeitpunkt noch nicht wissen: Um sich voll auf die Brutpflege konzentrieren zu können, hat die Krake am Tag der Befruchtung die letzte Mahlzeit ihres Lebens zu sich genommen. Langsam beginnt sich das Auge des Tieres sichtbar zu trüben. Tage und Wochen vergehen. Monate. Die Haut wird schlaff. Doch auch nach einem halben Jahr sitzt die Krake immer noch am selben Platz und tut, was sie tun muss: Eier hüten und Krabben abwehren.

Zwei Jahre vergehen. Drei Jahre. Vier Jahre. Nach viereinhalb Jahren bricht das erste Ei. Dann ein zweites. Eilige Krakenbabys verschwinden in der Schwärze der Tiefsee. Erst als das letzte der 160 Eier aufgebrochen und das letzte Krakenbaby in die Dunkelheit verschwunden ist, haucht die gewissenhafteste Mutter der Weltgeschichte ihr Leben aus.

Das Ende von Graneledone boreopacifica, der unbesungenen Heldin des Lebens.

Terra Mater Kolumne Mosslechners Merkwürdigkeiten Foto: Markus Mooslechner
Terra Mater Kolumnist Markus Mooslechner ist Journalist, Moderator und TV-Produzent für die Terra Mater Factual Studios.