Im Gespräch mit dem Künstler und Galeristen Klaus Littmann
KLAGENFURT, VIKTRINGER RING. IN EINER VILLA AUS DEN ZWANZIGERJAHREN DES 19. JAHRHUNDERTS haben der Schweizer Klaus Littmann und sein Team für die Dauer des Kunstprojekts „For Forest“ Quartier bezogen. Die Villa ist mittlerweile zum veritablen Anziehungspunkt und Veranstaltungsort rund um dieses große Vorhaben geworden. Von hier aus denkt und steuert der Initiator international renommierter Kunstinstallationen sein jüngstes Werk.
Im Wörthersee Stadion – einem dem Fußball gewidmeten Konstrukt aus Beton und Stahl – werden 300 Bäume von 8. September bis 31. Oktober 2019 ein farben- und formenprächtiges Bild erzeugen. Inspiriert von der Zeichnung „Die ungebrochene Anziehungskraft der Natur“ des Tiroler Künstlers und Architekten Max Peintner (* 1937) aus dem Jahr 1974, kreiert Littmann eine – wie er es nennt – temporäre Kunstintervention. Vor Littmann arbeiteten bereits Joseph Beuys und Christo mit lebenden Bäumen im öffentlichen Raum.
Welche Widerstände Klaus Littmann zu überwinden hat und wie es ihm gelingt, seine Idee umzusetzen, erzählt er unter den blühenden Bäumen im Garten der Villa.
TERRA MATER: Herr Littmann, als Sie vor mehr als 30 Jahren Max Peintners Zeichnung „Die ungebrochene Anziehungskraft der Natur“ sahen, entstand die Idee, dieses Bild real werden zu lassen. Was bewog Sie dazu?
KLAUS LITTMANN: Als ich die Zeichnung das erste Mal sah, war ich sofort fasziniert. Ich wollte sie unbedingt erwerben, was mir aber nicht gelang, da sie bereits nach Amerika verkauft war. Sie ließ mich jedoch nicht los. Ich wollte dieses Bild als dreidimensionale Kunstinstallation zum Leben erwecken.
Worin genau besteht für Sie das Faszinierende an der Zeichnung Peintners?
Ohne zu viel vorwegnehmen zu wollen: Es die Methode der Verfremdung, der Entkontextualisierung. Peintner stellt etwas Gewohntes in einen völlig neuen, anderen Kontext und lädt den Betrachter ein, zu bleiben, zu staunen, zu hinterfragen, neu zu denken.
Dieses Movens findet man auch in Ihren bisherigen Arbeiten?
Ja, auch in meinen Arbeiten stelle ich Gewohntes in einen neuen, ungewohnten, anderen Zusammenhang. Mir geht es in erster Linie darum, möglichst viele Menschen anzuregen, herauszufordern. Darin sehe ich meinen künstlerischen Auftrag. Ich male keine Bilder, aber ich male, gestalte mit anderen Mitteln. Mein Medium ist die Wahrnehmung. Sie zu verändern, zu öffnen ist gewissermaßen der rote Faden in meinen Arbeiten. 1990 habe ich mit dem belgischen Künstler Guillaume Bijl in meiner Galerie in Basel einen Supermarkt eingerichtet. Alles war im Detail einem echten Supermarkt nachgebaut. Die frische Ware wurde täglich ausgetauscht. Die Menschen kamen herein, nahmen sich einen Einkaufswagen, wollten einkaufen. An der Kasse wurde ihnen klar, dass sie sich in einem dreidimensionalen Stillleben befanden. Alltagsund Konsumgewohnheiten herauszuschälen, zu entkontextualisieren und bewusst zu machen: Das war das Konzept.
Ist dieses Konzept aufgegangen?
Durchaus. Jahre später erzählte mir ein Mann, dass er, seit er damals in dem, heute würde man sagen: gefakten Supermarkt war, nicht mehr normal in einen Supermarkt gehen könne, nun alles anders sehe.
Sie sind ein Schüler u. a. von Joseph Beuys und ein Freund von Christo. Worin besteht deren Einfluss auf Ihre Arbeiten?
Die Begegnungen mit Beuys und Christo veränderten sicher meinen Diskurs mit der Umwelt. Beuys nahm mich zu einer Zeit in seine „Lehre“, als ich nach einer neuen Richtung für mich strebte. Auf dem Weg von der Kunstgewerbeschule in Basel begegnete ich ihm rein zufällig in Düsseldorf. Gegen drei viertel acht morgens lief ich durch die Gänge der Kunstakademie. Da kam mir ein Mann mit weitem Mantel und Hut entgegen und fragte mich, ob ich etwas suche. Ja, antwortete ich, Menschen, die mir helfen. Da nahm er mich mit. Nach einem dreistündigen Gespräch wurde ich sein Schüler. Ich blieb sechs Jahre an der Akademie, unter anderem als Meisterschüler. Mit Beuys verbindet mich die Auseinandersetzung mit dem erweiterten Kunstbegriff. Er formulierte diesen in Form der sozialen Skulptur. Der gestaltenden Wirkung der Kunst auf die Gesellschaft begegnet man auch bei Christo, auch er bestärkt und inspiriert mich mit seiner Arbeit, darin meine Ideen umzusetzen.
Es bleibt dem Betrachter überlassen, was er von ‚For Forest‘ mitnimmt. Wichtig ist, dass er etwas mitnimmt. Mit Sicherheit wird es niemanden unberührt lassen.
Klaus Littmann, Initiator der temporären Kunstintervention For Forest
Sprechen wir über Ihr aktuelles Projekt „For Forest“. Wenn die Menschen ab 8. September ins Stadion kommen: Was erwartet sie dort?
Wie gesagt: Es wird eine Kunstinstallation aufgebaut, die der Zeichnung „Die ungebrochene Anziehungskraft der Natur“ von Max Peintner nachempfunden ist. In die, ich nenne es: Kraterarchitektur des Stadions aus Glas und Beton werden 300 Bäume gestellt. Der Schweizer Enzo Enea, der gegenwärtig führende Garten- und Landschaftsarchitekt, komponiert einen Mischwald, wie es ihn in Kärnten und darüber hinaus kaum oder gar nicht mehr zu sehen gibt. Es wird ein prachtvolles Bild aus Farben und Formen inmitten der technoiden Szenerie des Stadions entstehen. Von da geht die Wirkung aus, die ungebrochene Anziehungskraft der Natur.
Wie sind Sie an das Projekt herangegangen?
Am Anfang stand die Faszination, die Peintners Zeichnung auslöste. Wie bei all meinen Arbeiten kam dann die Idee, dieses Bild real werden zu lassen. Dann suchte und sammelte ich Menschen – ich nenne sie Ermöglicher –, mit denen ich etwas realisieren kann.
Diese haben Sie in Klagenfurt gefunden?
Nicht nur dort. Mittlerweile ist ein riesiger Kreis an Unterstützern entstanden. Klagenfurt befand sich zugegebenermaßen nicht auf meinem Radar. Von Klagenfurt – oder besser gesagt: von dem Stadion – erfuhr ich durch den amerikanischen Künstler Brad Downey, den ich 2013 im Rahmen eines temporären Skulpturenparks nach Basel eingeladen hatte. Er hatte bereits in Klagenfurt gearbeitet und erzählte mir von dem Stadion, das nach Durchführung der Europameisterschaft 2008 mehr oder weniger unbespielt war.
Das ging dann ganz einfach?
Kunst im öffentlichen Raum trifft immer auf Widerstände. Anfangs wurde ich natürlich abgewiesen. Ich ließ nicht locker auch weil ich nicht konnte. Wichtig war, dass ich auch Peintner von dem Vorhaben und dem Ort überzeugen konnte. Er sah sich das Stadion an und schätzte es sofort, vor allem aufgrund der größeren Nähe der Zuschauer zu den Bäumen. Dadurch entsteht eine hohe Intensität.
Mein Medium ist die Wahrnehmung. Sie zu verändern, zu öffnen ist gewissermaßen der rote Faden in meinen Arbeiten.
Klaus Littmann, Initiator der temporären Kunstintervention For Forest zu seiner Intention
Was kommt auf den Besucher im Stadion zu?
Die Menschen, die ins Stadion gehen, werden wie die Menschen in Peintners Zeichnung zu Zuschauern, Betrachtern, Fragenden, Faszinierten, was auch immer. Der Eintritt ins Stadion ist frei, der Zutritt in den Wald ist ihnen jedoch verwehrt. Darin liegt bereits das Verkehrte, das Befremdliche. Normalerweise ist der Eintritt in das Stadion je nach Veranstaltung zu bezahlen. In den Wald kann jeder, zu jeder Tages und Nachtzeit, noch frei.
Sie meinen, es könnte anders kommen? Die Natur – in diesem Fall der Wald – als Ausstellungsstück, als Kunstobjekt: Ist es das, worauf Peintner hinweisen will?
Peintners Zeichnung entstand in den frühen 1970erJahren. Waldsterben, saurer Regen, Bodenversiegelung und dergleichen waren noch kein Thema. Er schuf eine Dystopie, die mittlerweile Realität geworden ist.
Der Wald – dieses Symbol für Natur, Unberührtheit und Wildheit – wird uns immer fremder. Wollen Sie das mit dieser Kunstintervention zum Ausdruck bringen?
Letztendlich bleibt es dem Betrachter überlassen, was er sieht, was er mitnimmt. Wichtig ist, dass er etwas mitnimmt. Ob es eine Erkenntnis ist, eine Frage, ein Empfinden, kann und will ich nicht vorgeben. Mit Sicherheit wird es niemanden unberührt lassen. Peintners Zeichnung und die Kunstinstallation im Stadion regen auf und an. Die Bilder werden – und tun es bereits jetzt schon – um die Welt gehen. Das Phänomen der Entfremdung von der Natur und die Reflexion darüber sind nicht lokal gebunden. Bedingt durch den allseits spür und sichtbaren Klimawandel, regt sich weltweit Widerstand gegen die Ausbeutung der Ressourcen, gegen die Zerstörung der Umwelt, gegen die Verstümmelung der Natur zum reinen Kunst- und Konsumgut.
Sind Peintners Zeichnung und Ihre Kunstintervention im Stadion eine Mahnung an uns, mit der Natur respektvoller umzugehen?
Ich bin kein Mahner, sondern ein Ermöglicher. Mit meinen Projekten ermögliche ich einen Perspektivenwechsel, eine Wahrnehmungsveränderung. Peintners Zeichnung wird jedoch als Mahnruf gegen die Zerstörung unserer Umwelt und Natur u. a. in Schulbüchern eingebaut. „For Forest“ ist in erster Linie Kunst. Der Bezug zur Tagesaktualität von Klimawandel und seinen Folgen verdichten sich gerade jetzt in dieser Kunstinstallation evident.

Ist der Verweis der Kunstintervention „For Forest“ auf gegenwärtige Probleme wie den Klimawandel einer der Gründe, dass Sie Kritiker und Gegner von der Bedeutung dieses Vorhabens überzeugen konnten?
Natürlich mussten, wie bei allen Kunstprojekten im öffentlichen Raum, Widerstände überwunden werden. Ein Fußballstadion ist nun zunächst dem Fußball gewidmet. Dass das Wörthersee Stadion der Öffentlichkeit für die Kunst geöffnet wurde, hat auch damit zu tun, dass den wesentlichen Entscheidern klar geworden war, welche Strahlkraft dieses Projekt haben wird. Zudem wurde und wird das Stadion bereits zweckentfremdet genutzt. Mit Überzeugungskraft und Leidenschaft konnten viele Ermöglicher gewonnen werden.
Das bringt uns zur Frage nach den Kosten und den technischen Anforderungen für die Umsetzung. Wie läuft es da?
Das Projekt entsteht allein mit den Mitteln Privater – eben den Ermöglichern. Die Finanzierung baut auf drei Säulen auf. Baumpatenschaften, Sachleistungen und Manpower sowie Gönner, die das Projekt finanziell unterstützen. Die Realisierung der Installation erfolgt gänzlich ohne Steuermittel. Die Betriebskosten des Stadions wären in dieser spiel und veranstaltungslosen Zeit ohnehin angefallen.
Was kostet eine Baumpatenschaft?
5.000 Euro. Dafür erhalten die Paten eine Grafik der Zeichnung Peintners, ein sogenanntes Unikat in Serie. Jedes einzelne ist handkoloriert und somit ist keines wie das andere.
Eine Kritik an diesem Projekt bezieht sich auf die Herkunft der Bäume. Sie kommen nicht aus Kärnten bzw. Österreich …
Zunächst freut es mich, dass alle 300 Bäume bereits da sind und sich in bestem Zustand befinden. Sie wurden in einem gesicherten Areal in der Nähe des Stadions aufgestellt. Die Wurzeln sind eingepackt. Die Bäume haben nun Zeit, sich zu erholen. Da hatten wir großes Glück, mit Enzo Enea einen wahren Experten zu gewinnen, der sich wie kein Zweiter mit Bäumen auskennt. Sein Baummuseum in Rapperswil stellt Bäume aus der ganzen Welt aus. Er weiß, was Bäume brauchen, und auch, was man ihnen zumuten kann. Leider fanden wir in Österreich und in Kärnten keine Baumschule, die entsprechende Bäume in dieser Größe zur Verfügung stellen konnte.
Wie muss man sich die technische Umsetzung vorstellen? Werden die Bäume eingegraben und dann wieder ausgerissen?
Wir reißen keine Bäume aus. Die Bäume sind in Ballen verschult und verbleiben dort. Zum Schutz des Rasens werden Lastverteilungsplatten verlegt, auf die wird ein Baustahlgitter gelegt. Auf dieses werden die Bäume mit den ballierten Wurzelballen gestellt und gesichert. In den Zwischenräumen wird ein Waldboden modelliert. Für den Betrachter sieht es so aus, als wären die Bäume eingepflanzt. Um den Stadionboden braucht sich niemand Sorgen machen. Es wird alles in bester Ordnung übergeben.

Was geschieht mit den Bäumen, dem Wald, nach dem Abbau der Kunstinstallation?
Im Vorfeld wurde ja behauptet, die Bäume würden gehäckselt werden. Würde das zutreffen, würde man mich wohl an einem der Bäume aufknüpfen (lacht). Die Bäume werden weder gehäckselt noch sonst wie vernichtet. Die Kunstinstallation bleibt erhalten. Der Wald wird eins zu eins auf ein nahes Grundstück verpflanzt. Dazu wird es eine Infostelle geben, die die Geschichte dieses Projekts dokumentiert und für weitere Nachnutzungen offen steht.
Welche Resonanz erwarten Sie sich oder bemerken Sie bereits jetzt durch „For Forest“?
Das Projekt geht unheimlich in die Breite. Allein durch die Öffnung der Villa gelingt es uns, viele Menschen zu informieren und in einen Diskurs bzw. Dialog zu bringen. Vernetzung ist überhaupt eine der größten Nebenwirkungen. Kunstschaffende, Menschen aus der Kreativwirtschaft, Journalisten, Politiker, Wirtschaftstreibende, Sportler, Prominente und Unbekannte finden bei diversen Veranstaltungen, die bereits jetzt laufen, zusammen und reden darüber. Staunen über das Zustandekommen dieses absurden Vorhabens, versuchen es zu begreifen, landen bei Themen wie Klimawandel und Umweltzerstörung.
Wird es ergänzende Veranstaltungen geben?
Bereits jetzt gibt’s laufend Veranstaltungen. In der „Villa For Forest“ findet monatlich ein Jour fixe statt, wo man einfach hinkommen, sich informieren und sich austauschen kann. Zudem gibt es Konzerte, Lesungen, Ausstellungen. Das Thema Wald und Natur wird auch im Stadttheater aufgenommen, die Saison wird mit „Tannhäuser“ eröffnet. Ich selbst bin ständig unterwegs und stelle das Projekt vor, kürzlich im Museum Liaunig, das extra die Pforten dafür öffnete. In der Stadtgalerie in Klagenfurt wird im September eine Ausstellung zu „For Forest“ eröffnet. Das Projekt nimmt immer größere Dimension an, gibt Energie ab und bringt Leben in die Stadt und darüber hinaus.
Letzte Frage: Was bedeutet für Sie Erfolg?
Wenn sich – wie erwähnt in dem Beispiel zu Beginn unseres Gesprächs über den Mann, der den „Supermarkt“ besucht hat – die Wahrnehmung verändert. Wenn ich aus den Rückmeldungen spüre und erkenne, dass die Menschen, die meine Kunstinterventionen erleben – in welcher Weise auch immer –, bewegt sind, ein Stück der Energie, die darin steckt, mitnehmen und in ihren Alltag integrieren und die Dinge, die Selbstverständlichkeiten, das Gewohnte mit anderen Augen betrachten und sich andere als die üblichen Gedanken machen. In Anbetracht des stattfindenden Klimawandels wäre dann auch noch ein anderes Verhalten wünschenswert.
Dieses Interview erschien erstmals im Terra Mater Magazin 5/2019.

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