Ein Tag schreibt Geschichte: Der erste Bikini

Am 1. Juli 1946 explodierte um 9 Uhr morgens Lokalzeit über dem Bikini-Atoll im Pazifik eine Atombombe. Dieser Versuch erzeugte zwar einen Atompilz, war militärisch aber ein Fehlschlag: Die Bombe sollte ihre Einsatzfähigkeit als nautische Waffe beweisen, versenkte aber nur wenige der 24 schrottreifen Schiffe, die man im Wirkungsbereich herumdümpeln hatte lassen. In die Geschichte ging dieser erste öffentliche Atombombenversuch nach dem Zweiten Weltkrieg dennoch ein, aber erst einige Tage später und auf andere Weise als geplant.
Am Nachmittag des 5. Juli 1946 wurde im Pariser Schwimmbad Molitor eine Wahl zur schönsten Badenixe veranstaltet. Es gewann die Sekretärin Jacqueline Maraney. Nicht ins Finale schaffte es die 18-jährige Striptease-Tänzerin Micheline Bernardini. Dafür aber in die Annalen der Modegeschichte, denn die Französin trug ein Kleidungsstück, das „bis auf den Geburtsnamen ihrer Mutter alles zeigte“, wie Louis Réard, der Erfinder dieses Kleidungsstücks (und Stifter der Trophäe „Coupe Réard“, eines silbernen Salattellers) sagte, und so etwas Unerhörtes hatte es zuvor nicht gegeben.
Bernardinis Auftritt war von Réard, einem einigermaßen erfolgreichen Modeschöpfer, smart vorbereitet worden, also alles andere als die zufällige Teilnahme eines hübschen Mädchens an einer Miss-Wahl. Bernardini sollte vielmehr Réards Coup realisieren: die Vorstellung eines neuen Badekostüms, benannt nach dem Atom-Atoll, um seine Explosivwirkung zu erhöhen.
Die Bombenwirkung blieb jedoch zunächst aus. Die Anwesenden fanden das knappe Kleidungsstück schamlos und obszön (dabei war der Bikini nicht einmal eine Neuerfindung; zweiteilige Badekleidung gab’s schon vorher – bloß keine, die Pobacken und Bauchnabel freiließ). Und die Zeitungen berichteten amüsiert von der Miss-Wahl, erwähnten aber den Bikini mit keinem Wort. In aller Munde hingegen war in dieser Saison ein ähnlicher, allerdings stoffhaltigerer und damit völlig harmloser Zweiteiler namens „Atome“ des Modeschöpfers Jacques Heim, auch dieser ein Profiteur der Bombe.
Ausflüge an die Strände von Saint-Tropez inspirierten den Maschinenbauingenieur Louis Réard zum Design des zweiteiligen Badeanzugs.
Monsieur Bikini Louis Réard hatte beruflich vorher mit Autos zu tun
Die Modezeitschriften, allen voran die ebenso einflussreiche wie konservative „Vogue“, versuchten, den Bikini zu ignorieren, solange es ging. Dennoch tauchte er bald in Modeinseraten auf, und als er dann auch vermehrt auf den Stränden zu sehen war, reagierten die Behörden der gesellschaftszersetzenden Kraft des Bikinis angemessen. 1948, nach zweijähriger Inkubationszeit, wurde er an den Stränden Italiens und Spaniens verboten, ein Jahr später verbannte ihn ein französischer Präfekt von der gesamten Atlantikküste. In den USA trieben einflussreiche christlich-fundamentalistische Kreise ihr Anti-Bikini-Lobbying so weit, dass das knappe Badekostüm (Louis Réard warb mit „nur 45 Zentimeter Stoff, passt in jede Streichholzschachtel“) bis 1965 in Hollywood-Filmen kaum vorkam. 1951 verschwand er von den Laufstegen der Miss World-Wahl, wo er zuvor fünf Jahre lang zur Standardkostümierung gehört hatte.
Natürlich wurde auch der Vatikan auf den Bikini aufmerksam. 1949 erschien im „Osservatore Romano“ ein Artikel, in dem behauptet wurde, wenn dereinst die apokalyptischen Reiter erscheinen würden, um das Jüngste Gericht und das Ende der Welt einzuleiten, dann würden sie Bikinis tragen. Womit man freilich das Risiko einging, dass sich nun so mancher plötzlich auf den Weltuntergang freuen könnte.
In deutschen Schwimmbädern tauchten Bikiniverbote in den Badeordnungen noch bis in die Siebzigerjahre auf. Nahezu jede relevante gesellschaftliche Gruppe hatte irgendwas gegen den Bikini vorzubringen: Den Kommunisten galt er als Inbegriff bourgeoiser Dekadenz, den Feministinnen als Symbol der sexuellen Ausbeutung, den Kirchen als Werkzeug der Verderbnis und den Bürgermeistern der Badeorte als öffentliche Belästigung.
Seine Trägerinnen machten den Bikini berühmt: Von Brigitte Bardot bis Marilyn Monroe räkelten sich die bekanntesten Schauspielerinnen in dem raffinierten Nichts aus Stoff.
Das Patent mit der Nummer 19.431 machte stets gute Figur
Und Louis Réard? Der 1897 geborene Modeschöpfer, in der Frühzeit seiner Karriere noch Autodesigner für Renault, hatte sich schon in den Dreißigerjahren auf Bademode verlegt, womit er allerdings vom Hochadel der Modewelt nie richtig ernst genommen wurde. Der 5. Juli 1946 sollte sein großer Tag werden, und schon knapp zwei Wochen später ließ er den Bikini urheberrechtlich schützen. Gnadenlos verklagte er alle, die das Wort für eigene Kreationen oder für Zweiteiler, die den Nabel bedeckten, verwendeten. Das ging nicht lange gut, denn der Name Bikini verbreitete sich weltweit und trennte sich schnell von Réards Marke.
Réard betrieb ab 1946 in Paris ein Bademodegeschäft und lebte relativ unbekannt bis zu seinem Tod 1984 in Lausanne. Immerhin wurde 2017 die Swimwear-Marke „Réard Paris“ gegründet. Ein wenig Nachruhm ist damit gesichert.

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